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Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Titel: Der Junge, der Ripley folgte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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den Blick eines Barmanns aufzufangen und einen Drink zu bestellen, jetzt jedenfalls noch nicht. Viertel nach elf: Tom sah sich um. Vor allem an der Theke, denn dort würde man logischerweise den Barkeeper nach Joey fragen, aber bislang war ihm niemand aufgefallen, der selbst mit einiger Phantasie als Hetero durchgehen konnte. Er nahm an, daß die Entführer nicht schwul waren.
    Und da kam Max, in einem weißen Hemd mit Westernkragen und Perlenknöpfen, nach wie vor in schwarzen Lederhosen und Stiefeln, aus dem hinteren Teil der Bar, wo die meisten tanzten. Ein hochgewachsener Mann folgte ihm; er trug ein langes Kleid aus einer Art beigem Seidenpapier, und in seinem kurzgeschorenen Haar steckten dünne gelbe Schleifen, die er irgendwie über den Ohren befestigt hatte.
    »Guten Abend.« Max lächelte. »Rollo.« Er deutete auf den Mann in Beige.
    »Mabel«, lächelte Tom gutgelaunt.
    Rollo zog die Mundwinkel hoch. Schmale rote Lippen, sonst war sein Gesicht weiß wie die Wand. Die blaugrauen Augen glitzerten wie geschliffene Diamanten. »Warten Sie auf einen Freund?« fragte Rollo. In der Hand hielt er eine lange, leere, schwarze Zigarettenspitze.
    War das sein Ernst? »Ja.« Tom ließ seinen Blick noch einmal über die Männer schweifen, die dort, wo die Tische standen, an der Wand lehnten. Er konnte sich kaum vorstellen, daß auch nur einer der Entführer tanzen würde, doch hier war wohl alles möglich.
    »Was trinken wir?« fragte ihn Rollo auf deutsch.
    »Geht auf mich. Ein Bier, Tom?« fragte Max.
    Bier schien ihm kein Drink für eine Dame, doch im nächsten Moment kam ihm das absurd vor, und er wollte schon ja sagen, als er hinter der Theke eine Espressomaschine bemerkte. »Kaffee, bitte.« Ebenfalls auf deutsch. Tom fischte ein paar Münzen aus seiner Handtasche und legte sie auf die Theke. Seine Brieftasche hatte er nicht mitgenommen.
    Max und Rollo bestellten Dornkaat.
    Tom stellte sich so, daß er den Eingang im Blick hatte und, an die Theke gelehnt, mit Max und Rollo reden konnte, die ihm nun gegenüberstanden. Der Lärm machte eine Unterhaltung nicht ganz einfach. Alle paar Sekunden kamen Männer zur Tür herein, allein oder zu zweit. Hinaus gingen weniger.
    »Wen wollen Sie versetzen?« rief Max nahe an seinem Ohr. »Sehen Sie ihn?«
    »Noch nicht!« Im selben Augenblick fiel Tom ein junger, dunkelhaariger Mann ganz hinten in der Ecke auf, am Ende der Theke, die sich rechts von Tom in einem Bogen bis zur Wand zog. Der Mann könnte ein Hetero sein. Er sah aus wie Ende Zwanzig, trug eine hellbraune Segeltuchjacke und hielt eine Zigarette in der Linken, die auf der Theke ruhte. Der Mann trank Bier, sah sich unentwegt um, langsam und wachsam, und warf Blicke zur Tür. Aber das taten viele andere auch; Tom wußte also nicht, was er davon halten sollte. Doch früher oder später würde der Mann, auf den er wartete, den Barkeeper fragen – zum zweitenmal, falls er das schon getan hatte –, ob er jemand namens Joey kenne, in der Bar sehe oder eine Nachricht von ihm habe.
    »Tanzen?« Rollo beugte sich höflich zu ihm herab. Er war noch größer als Tom.
    »Klar.« Zu zweit bahnten sie sich einen Weg zur Tanzfläche.
    Kurz darauf mußte Tom seine hochhackigen Schuhe ausziehen, die ihm Rollo, ganz der Kavalier, galant abnahmund wie Kastagnetten über dem Kopf gegeneinanderschlug. Wirbelnde Röcke, alle lachten, doch nicht über sie – niemand beachtete Rollo und ihn im geringsten. do it… do it… do it… Die Worte hätten auch anders lauten können, CHEW IT oder BLOW IT oder SCREW IT , das war ganz egal. Der Boden fühlte sich gut an unter Toms bloßen Füßen. Ab und zu legte er die Hand auf den Kopf und strich die Perücke gerade, einmal tat Rollo das für ihn. Er war so vernünftig gewesen, in flachen Sandalen zu kommen. Tom war in Hochstimmung, er fühlte sich stark, so als schwitzte er gerade in einem Fitneßstudio. Kein Wunder, daß die Berliner Verkleidungen liebten! Verkleidet konnte man sich frei fühlen, sozusagen man selber sein.
    »Gehen wir zur Theke zurück?« Es war bestimmt schon zwanzig vor zwölf, und Tom wollte sich noch einmal umsehen. Die Schuhe zog er erst an der Theke wieder an, wo noch seine halbvolle Kaffeetasse stand. Max hatte auf die Handtasche aufgepaßt. Tom stellte sich wieder so, daß er die Tür im Auge behielt. Der Mann von vorhin saß nicht mehr am Ende der Theke – Tom suchte ringsum nach einer braunen Jacke, musterte die Männer, die um die Tische kreisten, auch die an

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