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Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Titel: Der Junge, der Ripley folgte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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Fehler gewesen, Peter nicht die Polizei rufen zu lassen, die sonst jetzt vielleicht mit Sirene und Blaulicht unten stehen würde? Plötzlich schrie Tom auf englisch: »Haut ab, solange ihr könnt.«
    Blauhemd wechselte ein paar Worte mit dem Mann in Hemdsärmeln, gab Braunjacke die Pistole und ging in den Raum zur Rechten Toms. Gleich darauf rumste es, als sei ein Koffer heruntergefallen.
    Tom hatte Angst, nach dem Jungen zu suchen, denn dann könnte er Braunjacke nicht länger mit der Pistole in Schach halten – falls man das so nennen wollte, denn auch der andere hatte eine Waffe. Hinter ihm fragte ein Mann auf deutsch: »Was ist denn hier los?«
    Tom sah sich um. Anscheinend ein neugieriger Nachbar, der in Pantoffeln im Flur stand, die Augen weit aufgerissen, nackte Angst im Gesicht und schon auf dem Sprung zurück in seine Wohnung.
    »Weg da!« schrie Braunjacke.
    Der Mann in Hemdsärmeln stürzte aus dem Vorderzimmer in den Raum, wo Tom stand. Der bemerkte aus den Augenwinkeln, wie der Nachbar hinter ihm verschwand.
    »Okay, schnell!« Der Mann in Hemdsärmeln schnappte sich ein Jackett, das über einem Stuhl an dem ovalen Tisch hing. Er schlüpfte hinein (die freie Hand zeigte dabei kurz nach oben), rannte durchs Zimmer zur Tür rechts von Tom und stieß mit Blauhemd zusammen, der mit einem Koffer aus der Tür trat.
    Tom fragte sich, ob sie wirklich unten auf der Straße etwas gesehen hatten. Ob die Polizei schon da war, wegen des Schusses, den er abgefeuert hatte? Wohl kaum. Blauhemd stürzte an ihm vorbei, den Koffer in der Hand, dann der Mann in der braunen Jacke. Sie liefen zur Treppe, die zum Dach führte, das sah er. Entweder wurde die Dachtür vorschriftsgemäß nie abgeschlossen, oder sie hatten den Schlüssel dazu. Tom kannte diese Häuser: Es gab keine Feuerleitern oder Nottreppen, nur Innenhöfe für die Feuerwehr und Notausgänge zum Dach. Jetzt rannte der Mann im Jackett mit einer braunen Aktentasche an ihm vorbei, die Treppe hinauf, stürzte und fing sich wieder. In der Eile hatte er Tom angerempelt und beinah zu Boden gestoßen. Tom schloss die Tür, so gut er konnte. Ganz ging sie nicht zu, ein großer Splitter alten Holzes verhinderte das.
    Er lief in den Raum zur Rechten, Peters Pistole immer noch im Anschlag, wie auf einen Gegner gerichtet.
    Die Küche: Auf dem Boden lag Frank auf einer Decke, mit einem Handtuch geknebelt, die Hände hinter dem Rücken gefesselt, die Knöchel zusammengebunden. Aber der Junge bewegte sich, er rieb sein Gesicht an der Decke, wohl um den Knebel loszuwerden.
    »Frank!« Tom kniete neben ihm nieder und zog das festgebundene Geschirrhandtuch über das Kinn zum Hals herunter.
    Speichel lief dem Jungen aus dem Mund; er war betäubt, vermutlich von Drogen oder Schlaftabletten, sein Blick irrte blind umher.
    »Mein Gott!« murmelte Tom. Er suchte ein Messer, fand eines in der Küchentischschublade, prüfte es am Daumen – zu stumpf – und nahm ein Brotmesser vom Ablauf der Spüle. Dort standen auch etliche leere Coladosen. »Gleich bist du frei, Frank«, sagte er und ging daran, den Strick um die Handgelenke zu durchtrennen – ein starkes Seil, mehr als einen Zentimeter dick, doch der Knoten schien viel zu fest, als daß er ihn lösen könnte. Während Tom am Strick herumsäbelte, horchte er, ob jemand die Wohnung betrat.
    Der Junge würgte, kurz davor, auf die Decke zu kotzen. Er gab ihm einen nervösen Klaps auf die Wange.
    »Aufwachen! Ich bin’s, Tom! Wir verschwinden gleich von hier.« Tom wünschte, er hätte die paar Minuten für einen Nescafé, und sei es nur einer mit kaltem Wasser von der Spüle, aber er nahm sich nicht einmal die Zeit, danach zu suchen. Statt dessen ging er den Strick um die Knöchel an, säbelte zuerst die falsche Schlinge halb durch und fluchte. Endlich. Er riß den Strick ab, hievte den Jungen hoch. »Frank, kannst du gehen?« Einen seiner hochhackigen Pumps hatte Tom verloren, den anderen schleuderte er weg. Besser barfuß in dieser Lage.
    »T-t-tom?« Der Junge wirkte sturzbetrunken.
    »Auf geht’s, Frank!« Tom legte sich einen Arm des Jungen um den Hals und schleifte ihn in Richtung Wohnungstür. Er hoffte, durch die Bewegung würde der Junge wacher werden. Auf dem mühsamen Weg zur Tür sah Tom sich im Wohnzimmer (blanker Boden, kein Teppich) nach etwas um, das die Männer hinterlassen haben könnten, ein Notizbuch etwa oder einen Zettel. Doch da war nichts. Offenbar waren sie effizient vorgegangen und hatten ihre Sachen

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