Der Junge, der sich in Luft auflöste

Verschwinden ist?«
    Â»Die Tatsache, dass er aus einer verschlossenen Gondel verschwand«, sagte ich.
    Kat nickte. »Er fuhr mit dem Riesenrad nach oben und ist nicht wieder runtergekommen.«
    Â»Eindeutig merkwürdig«, bestätigte ich.
    Â»Und niemandem sonst – weder der Polizei noch Mum oder Dad und auch nicht Tante Glo – scheint aufgefallen zu sein, wie merkwürdig! Sie hören doch alle überhaupt nicht zu, was wir ihnen die ganze Zeit erzählen, und stellen uns hin, als hätten wir einfach nur nicht aufgepasst und ihn übersehen. Aber das ist doch nicht möglich, oder?«
    Â»Möglich schon, wahrscheinlich nicht«, sagte ich. »Wir haben bei zwei Gondeln vor der Landung von Salims Gondel gesehen, wie die Leute herauskamen, und dann noch bei einigen danach. Ich habe die Zeit, die er oben war, mit meiner Uhr gestoppt. Da bleibt nur eine sehr geringe Fehlerquote.«
    Â»Was ist also passiert? Wo ist er hin?«
    Â»Ich habe acht unterschiedliche Theorien«, sagte ich.
    Kat war beeindruckt. »Acht verschiedene?«
    Â»Acht. Eine davon muss stimmen, es sei denn, ich habe eine oder noch ein paar vergessen.«
    Â»Wie wär’s, wenn ich sie aufschreibe?« Kat schnappte sich einen Zettel von meinem Schreibtisch und ich diktierte ihr die folgende Liste. Das hier ist die Version, die Kat aufgeschrieben hat, mit einem Kommentar nach jeder Theorie, um festzuhalten, für wie wahrscheinlich sie sie hielt:
    1.  Salim hat sich in der Gondel versteckt (vielleicht unter dem Sitz), ist dreimal oder öfter mit dem Riesenrad gefahren und dann irgendwann ausgestiegen, als wir aufgehört hatten, nach ihm Ausschau zu halten. (Gut möglich. Lohnt eine Überprüfung.)
    2.  Teds Uhr ging falsch. Salim ist aus seiner Gondel ausgestiegen, als wir nicht da waren, um ihn in Empfang zu nehmen. (Unwahrscheinlich. Habe Teds Armbanduhr gerade überprüft. Sie zeigt 23.43 Uhr an. Genau wie sein Wecker. Die Uhr geht ganz genau. Ted sagt, dass er sie heute auf unserem Spaziergang fünfmal mit den Glockenschlägen von Big Ben verglichen hat.)
    3.  Salim ist aus seiner Gondel ausgestiegen, aber wir haben ihn irgendwie aus Versehen verpasst und er uns auch. Wovon unsere Eltern und die Polizeibeamten ausgehen. (Wir denken aber, dass die Wahrscheinlichkeit dafür nur zwei Prozent beträgt. Wir haben beide jeden beobachtet, der ausstieg, und es waren nie sehr viele auf einmal. Außerdem hätte Salim uns ebenfalls übersehen müssen, es sei denn …)
    4.  Er wollte uns absichtlich aus dem Weg gehen oder er litt an Amnesie (Gedächtnisschwund). Diese Theorie bedeutet, dass er entweder weglaufen wollte oder einen Schlag auf den Kopf verpasst bekam und uns dann irgendwie vergessen hat. (Aber wir standen ja da und schauten uns jeden der Aussteigenden an, und damit wissen wir immer noch nicht, wie wir ihn hätten übersehen können, selbst wenn er gar nicht von uns gesehen werden wollte oder vergessen hatte, wie wir aussehen. Also im Grunde so unwahrscheinlich wie 3.)
    5.  Salim hatte eine spontane Selbstentzündung. (Davon hab ich noch nie was gehört, aber Ted scheint zu glauben, dass Menschen manchmal einfach so in Rauch aufgehen. Er meint, es sei ein seltenes, aber beschriebenes Phänomen und würde so ähnlich funktionieren wie auf kleine Gebiete begrenzte Gewitter. Hm. Unwahrscheinlich. Zählt eigentlich nicht.)
    6.  Salim ist verkleidet ausgestiegen. (Möglich, aber wenn man bedenkt, wer sonst noch ausstieg – die japanischen Touristen, Frauen, kleine Kinder –, sehr unwahrscheinlich. Die Person, die ihm am ähnlichsten sah, war der Freund des Mädchens in der rosaroten Jacke. Aber er war dicker, hatte ein viel runderes Gesicht. Auf gar keinen Fall Salim. Außerdem: Wie soll er sich in der kleinen Gondel denn umgezogen haben, ohne dass jemand etwas davon mitbekam?)
    7.  Salim verschwand in einer Zeitschleife und könnte in einer anderen Zeit oder einem Paralleluniversum festsitzen. (Wahrscheinlichkeit liegt praktisch bei null, wie bei Theorie Nummer 5.)
    8.  Salim hat sich beim Aussteigen unter den Kleidern eines anderen versteckt.
    Als wir zu dieser letzten Theorie kamen, warf mir Kat über ihren Stift hinweg einen Blick zu. Sie machte sich nicht mal die Mühe, ihren Kommentar dazu aufzuschreiben.
    Â»Erinnerst du dich daran, wie Dick und Doof