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Der Junge, der sich in Luft auflöste

Der Junge, der sich in Luft auflöste

Titel: Der Junge, der sich in Luft auflöste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siobhan Dowd
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er weggelaufen ist?«
    Â»Siebzig zu dreißig vielleicht, keine Ahnung.«
    Â»Warum hat er dann sein Handy nicht benutzt?«
    Â»Vielleicht ist seine Karte leer.«
    Â»Warum geht er dann nicht ran?«
    Â»Vielleicht ist ja der Akku leer.«
    Dad blickte zu dem Dreiviertelmond hinauf, der über dem Osten der Stadt aufging. »Ich weiß, ziemlich viel Vielleicht.« Er seufzte. »Salim und deine Tante Gloria haben eine seltsame Beziehung zueinander, Ted. Trotz all ihrer Nörgeleien und seiner frechen Antworten stehen sie sich nah, denke ich.«
    Â»Sie stehen dicht nebeneinander? Wie an der Haltestelle?«
    Â»Nein, sie stehen sich nah, sie sind sich nah. Deswegen wäre ich gar nicht auf die Idee gekommen, dass er vielleicht weggelaufen ist. Jedenfalls nicht ohne ein bestimmtes Ziel.«
    Mir fiel wieder ein, wie Salim diesen Anfall gespielt hatte, um nicht ins Kunstmuseum gehen zu müssen. Und wie er bei Tante Glorias Vorschlag, erst später zum Riesenrad zu gehen, mit dem Fuß aufgestampft hatte. Etwas zählen und mir einen Zeitpunkt merken und mich an etwas erinnern, das kann ich gut. Aber es fällt mir schwer zu beurteilen, ob Menschen sich mögen oder nicht. Ich habe einen Fünfpunkteschlüssel zum Deuten von Gesichtern, den Mr Shepherd mir anhand von Comiczeichnungen beigebracht hat:
    1)  Lippen nach oben, viele Zähne zu sehen = sehr gut gelaunt, fröhlich
    2)  Lippen nach oben, keine Zähne zu sehen = recht gut gelaunt, zufrieden
    3)  Lippen zusammengepresst, leicht nach unten = nicht gut gelaunt, ein bisschen ärgerlich oder auch erstaunt (schwer zu unterscheiden)
    4)  Lippen zusammengepresst, gleichzeitig gerunzelte Augenbrauen = sehr unzufrieden, wütend
    5)  Lippen so rund wie ein O und Augen weit aufgerissen = erschrocken, überrascht
    Ich dachte an Salim und wie sein nach unten gerichteter Blick dauernd hin und her gesprungen war und wie er bei Tante Glorias Worten an die Decke geschaut hatte. Aber all das passte nicht in meinen Fünfpunkteschlüssel. Ich konnte es keinem Gefühl zuordnen. Ich dachte daran, wie er in der Riesenrad-Schlange gestanden hatte, nach oben blinzelte, den Blick senkte, sich mal in die eine, mal in die andere Richtung drehte. Wie er sich in seinem Schlafsack gewälzt und im Schlaf geseufzt hatte.
    Die fünf Grundstimmungen zu erkennen, ist die eine Sache. Zu wissen, wie man sie mischt, ist etwas ganz anderes. Wie wenn man auch die Mischfarben kennt, nicht nur die Grundfarben. Blau und Gelb sind beim Malen leicht wiederzuerkennen. Aber es ist nicht leicht, vorherzusagen, dass sie Grün ergeben, wenn man sie mischt.
    Â»Also, wenn sie sich nah sind«, sagte ich zu Dad, »dann bedeutet das doch, dass Salim immer in Tante Glorias Nähe sein möchte und nicht weglaufen würde?«
    Â»Nicht unbedingt dauernd in ihrer Nähe. Andererseits …« Dad fuhr sich mit der Hand durchs Haar, dass er aussah wie Stan Laurel. »Wir kennen deine Tante Gloria auch nicht so gut. Und Salim auch nicht. Wir haben sie vor fünf Jahren das letzte Mal gesehen.« Ein Ärmel eines Hemdes auf der Wäscheleineflatterte Dad ins Gesicht und verfing sich an seinem Hals. Er lachte, was mir merkwürdig vorkam, wenn man sich mitten in einer Krise befindet. Dad befreite sich von dem Ärmel. »Vielleicht stehen sie ja doch eher nebeneinander, wie an der Haltestelle, Ted. Und treten sich gegenseitig auf die Füße. Wer weiß? Ich weiß bloß, dass wir uns da wieder mal eine schöne Suppe eingebrockt haben.«

13
    Das Auge des Hurrikans
    Kat rief uns aus der Küche zu, dass wir im Wohnzimmer gebraucht würden. Als wir dort ankamen, hatte Tante Gloria ihren Kognak ausgetrunken, starrte auf den Grund ihres Glases und ihre Mundwinkel hingen nach unten, was bedeutete, dass sie traurig war. Außerdem waren ihre Augenbrauen zusammengezogen, was bedeutete, dass sie auch wütend war. Kommissarin Pearce stand auf und versprach, sich zu melden, wenn es irgendwelche Neuigkeiten gab. Dann sagte sie, da wäre noch eine letzte Sache. Ob Tante Gloria ein Foto von Salim hätte? Tante Gloria kramte ein Kreditkartenetui aus ihrer Handtasche hervor.
    Â»Ich hab nur dieses«, sagte sie. »Es ist ein bisschen alt. Die restlichen sind in den Fotoalben. Und die sind schon unterwegs nach New York, per Schiff.« Sie reichte das Bild herüber.
    Â»Ihr Sohn ist

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