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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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sich, wenn du alt bist ... noch immer erzählt, ich hätte den Namen meines Mörders nicht preisgeben wollen und nur ... nur gesagt ... ›Darum kümmere ich mich selbst‹?« Er zwinkerte Christmas zu und versuchte zu lächeln. »So sichere ich mir einen eindrucksvollen Abgang. Wenn ich den Namen preisgeben würde, käme heraus, dass ich von irgendeinem unbedeutenden Arschloch umgebracht worden bin. Und der Mistkerl würde eine berühmte Leiche, weil er Mr. Big erschossen hat ... Und mein Ende wäre ... pathetisch ... wie das Leben von jedem von uns Gangstern. So aber ... wird auch mein Tod zur Legende.« Rothstein seufzte und schloss die Augen, seine Nasenflügel bebten. Nach einer kleine Weile wandte er sich wieder Christmas zu. »Das habe ich von dir gelernt.« Er hustete. »Blödsinn verzapfen zahlt sich aus ...«
    Zaghaft streckte Christmas die Hand nach Rothsteins Hand aus. Er drückte sie.
    »Geh jetzt«, sagte Arnold Rothstein mit rauer, ermatteter Stimme. »Mach, dass du wegkommst, Junge.«
    Vor der Tür traf Christmas auf Rothsteins Frau Carolyn, die wartete, dass sie hineingehen durfte. Sie sahen sich einen Augenblick an, bevor die Frau im Krankenzimmer verschwand.
    Am Tag darauf fiel Rothstein ins Koma und starb wenig später.
    »Eine Menge Leute hatten sich auf dem Union Field Cemetery versammelt«, sagte Christmas ein paar Tage später im Radio gegen Ende seiner Sendung. »Viele Galgengesichter und wenige anständige Menschen. Arnold hätte das bedauert. Der Weg, den er gewählt hatte, erlaubte ihm nicht, selbst ein anständiger Mensch zu sein, aber anständige Menschen waren ihm wichtig. Er wusste sie zu schätzen. Auch Mr. Big war New York, vergessen wir das nicht. Denn du bist beides, New York, Schatten und Licht.«
    Dann senkte er den Kopf und wartete, dass Cyril die Übertragung beendete. Als er wieder aufsah, begegnete er Karls Blick. Karl nickte bewegt. Christmas schaute hinüber zu Cyril, der ihm zulächelte, wie er es nicht mehr getan hatte, seitdem Diamond Dogs wieder auf Sendung war.
    Am gleichen Abend machte Christmas sich auf den Weg nach Brooklyn zu Santos neuem Heim. Carmelina hatte überbackene Makkaroni und Schweinshaxe mit Kartoffeln zubereitet.
    Als er später in seine Wohnung am Central Park West heimkehrte, hob er seine Underwood vom Boden auf, die noch immer dort gelegen hatte. So gut es ging, richtete er die verbogenen Typenhebel. Einer war gebrochen, es war das R. Christmas setzte sich an den Schreibtisch und spannte ein leeres Blatt Papier in die Maschine. Mit einem Füllhalter malte er darauf ein großes R. Daneben tippte er drei Buchstaben. U-T-H. Ruth . Und mit den Händen auf den Tasten blieb er reglos sitzen und starrte auf den Namen, der sein ganzes Leben war.
    Schließlich hob er den Blick und sah aus dem Fenster. Er konnte die Bank nicht sehen. Aber er wusste, sie war da.
    Und plötzlich erinnerte er sich an eine Öllampe, die die Handwerker in der Wohnung vergessen hatten. Er hatte sie in die Abstellkammer geräumt. Da steckte er eine Packung Streichhölzer ein und holte die Lampe hervor.
    Christmas ging hinunter auf die Straße und blieb am Parkrand stehen. Er konnte die Bank nicht sehen, doch er wusste, sie war nur wenige Schritte entfernt. Er brauchte nur den Fuß auf die Wiese zu setzen. Christmas lächelte. Mit einem Fuß trat er auf die Wiese, dann mit dem anderen. Und dann begann er zu laufen.
    Als er sich wieder am Schreibtisch niederließ, sah er in der Dunkelheit hinter seinem Fenster einen schwachen, flackernden Lichtschein, den Schein der Öllampe, in dem sich die Parkbank abzeichnete.
    Diamond Dogs , tippte er in die Zeile unter Ruths Namen. Eine Geschichte von Liebe und Gangstern . Das R fügte er per Hand ein. Dann zog er das Blatt heraus, legte es zu seiner Rechten ab und nahm ein neues Blatt vom Stapel zu seiner Linken. Er spannte es in die Maschine und schrieb: Szene I . Nachdem er tief Luft geholt hatte, stürzte er sich voller Begeisterung auf die Tasten der Underwood, und jedes R, auf das er stieß, fügte er per Hand hinzu.
    Und er wusste, durch diese Seiten, die sich rasch vermehrten, würde Leben strömen.

67
    San Diego – Newhall – Los Angeles, 1928
    Clarence hatte ihr geholfen. Er hatte ihr keine Fragen gestellt. Schweigend hatte er zugehört und nur zweierlei angemerkt: »Tut mir leid für den jungen Mann.« Und: »Mrs. Bailey wird dich vermissen.« Danach hatte er sich in sein Büro zurückgezogen und den Hörer in die Hand genommen.

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