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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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Killer geht hin und wickelt es auf. Er findet Geld. Während er es nachzählt, zieht der Boss eine Pistole, richtet sie auf das Genick des Killers und drückt aus nächster Nähe ab. Der Killer schlägt mit dem Gesicht auf den Pfeiler. Der Handlanger des Gangsterbosses sammelt das Geld auf, dann steigen sie in den Wagen. Licht aus. Licht an. Beifall. Szenenwechsel.
    Christmas reckte und streckte sich. Er massierte seinen verspannten Nacken. Er seufzte. Reglos saß er da, als gäbe es keinen Grund, sich zu rühren, keinen einzigen Gedanken. Es gab weder Cyril noch Karl oder Santo. Es gab kein Diamond Dogs und kein Radio. Kein Hollywood. Es gab weder Fanpost noch Zeitungsartikel noch die Wohnung oder das Geld auf dem Bankkonto. Vielleicht gab es sogar ihn selbst nicht mehr, den aufgeblasenen Fatzke. Die Karikatur seiner selbst.
    Er blickte aus dem Fenster in die Dunkelheit hinaus. Es gab keine Bank im Central Park, es gab kein New York. Es gab nichts als eine eherne Rüstung, die ihm den Blick auf die Welt verwehrte. Und die der Welt den Blick auf ihn verwehrte.
    Da war einzig ein dumpfer Schmerz, der pochte wie eine Entzündung, wie ein Krebsgeschwür, ein Schmerz, der in ihm wütete. Nichts sonst war in der Rüstung.
    Da war einzig Ruth.
    Und Ruth war fort.
    Langsam stand Christmas auf und schleppte sich aus dem Haus. Wie von selbst trugen seine Beine ihn über die Straße. Am Parkrand blieb er stehen. Er konnte die Bank nicht sehen, doch er wusste, sie war nur wenige Schritte entfernt. Er brauchte nur den Fuß auf die Wiese zu setzen. Aber er rührte sich nicht. Reglos stand er da, während sich die Rüstung unter den Tränen, die ihm über die Wangen liefen, auflöste.
    Da drehte er sich um, ging zurück in seine leere Wohnung, griff nach den Seiten, die er zuvor beschrieben hatte, und riss sie in Stücke. Danach schmetterte er seine Underwood gegen die Wand. Angezogen warf er sich schließlich aufs Bett und sank in einen schweren, dunklen, traumlosen Schlaf.
    Am nächsten Morgen machte er sich nach dem Aufwachen weder frisch noch wechselte er seine zerknitterten Kleider. Ohne die vielen Papierschnipsel und die Schreibmaschine zu beachten, die an einer Seite verbeult und mit verrenkten Typenhebeln auf dem Boden lag, ging er zur Wohnungstür und hinunter auf die Straße. Er trank einen starken Kaffee und beschloss, seine Mutter zu besuchen. Zu Fuß machte er sich auf den Weg den Broadway entlang.
    »Rothstein angeschossen!«, brüllte auf der anderen Straßenseite ein Zeitungsschreier und wedelte mit einer Zeitung. »Mr. Big lebensgefährlich verwundet!«
    Wie von einer Ohrfeige getroffen fuhr Christmas herum. Er rannte, ohne auf den Verkehr zu achten, über die Straße und riss dem Jungen die Zeitung aus der Hand.
    »He!«, protestierte der Zeitungsschreier.
    Gestern Abend um 10.47 p. m. hat Vince Kelly ... , begann Christmas hastig zu lesen.
    »He!«, sagte der Junge abermals und zog ihn am Ärmel.
    Christmas holte eine Münze aus der Tasche und drückte sie dem Jungen in die Hand. Dann ging er lesend weiter.
    »Ein Dollar?«, rief der Junge aus. »Danke, Sir!«
    ... hat Vince Kelly, Liftboy im Park Central Hotel an der Ecke West 56th Street und 7th Avenue, Arnold Rothstein lebensgefährlich verwundet in einem Personalflur im ersten Stock aufgefunden. Ein Schuss traf den Gangster in den Bauch ...« Den Blick starr ins Leere gerichtet ließ Christmas die Zeitung sinken. Gleich darauf jedoch las er weiter. »Mr. Big ist sofort ins Polyclinic Hospital gebracht worden. Den Polizisten, die ihn nach dem Namen desjenigen, der auf ihn geschossen hatte, fragten, erklärte er: »Darum kümmere ich mich selbst.«
    Christmas faltete die Zeitung zusammen und winkte ein Taxi heran. »Zum Polyclinic Hospital«, sagte er und sprang in den Wagen.
    Nachdem das Taxi sein Ziel erreicht hatte, rannte Christmas in die Eingangshalle des Krankenhauses, plötzlich jedoch versagten ihm die Beine den Dienst. Nur ein einziges Mal war er bislang in einem Krankenhaus gewesen. Mit Ruth. In seinem Kopf drehte sich alles. Da bemerkte er zwei Polizisten, die gerade in den Aufzug stiegen. Er lief zu ihnen und fuhr mit ihnen hinauf.
    Der Flur, auf dem sie ausstiegen, war streng bewacht.
    »Ich muss zu Arnold Rothstein«, sprach Christmas einen Polizisten an.
    »Verwandter?«
    »Bitte, ich muss ihn sehen.«
    »Bist du ein Reporter?«
    »Ich bin ein ... Freund.«
    »Rothstein hat keine Freunde«, bemerkte ein Captain im Vorbeigehen lachend. Plötzlich

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