Der Junge, der Träume schenkte
erzählen: In Paterson, New Jersey, einer Kleinstadt mit über dreihundert Seidenfabriken – weshalb sie den Beinamen Silk City bekommen hatte –, hatten die Fabrikbesitzer beschlossen, jedem der Arbeiter vier Webstühle zu übertragen anstelle der zwei, mit denen sie bis dahin betraut gewesen waren. »Auf diese Weise sparen sie drastisch Personal ein. Die Hälfte der insgesamt dreiundsiebzigtausend Arbeiter verliert ihren Job.«
»Ja ...«
»Kannst du dir vorstellen, wie viele Familien Hunger leiden werden?«
»Ja ...«
»Aus diesem Grund kämpfe ich.«
Cetta betrachtete ihn voller Bewunderung. Dieser schmächtige blonde Mann mit den blauen Augen kämpfte für dreiundsiebzigtausend Menschen. Er war so etwas wie ein General. Ein guter General, der sich für die Schwächsten der Schwachen einsetzte. Und von nun an würde er sich auch für sie, Cetta, einsetzen. Er würde ihr alles beibringen. Durch ihn würde sie ein besserer Mensch werden.
So kam es, dass sie Andrew gewähren ließ, als er, später am Abend, vor dem Eingang zum Kellergeschoss den Arm um ihre Taille legte und sie sanft an sich zog. Auch als Andrew sie auf den Mund küsste, wehrte Cetta sich nicht. Sie schloss die Augen und gab sich diesem gutmütigen, ehrlichen Mann hin, der sagte, er finde sie bezaubernd. Als ihre Lippen sich voneinander lösten, schmiegte sie sich an ihn und hielt ihn eng umschlungen, denn zum ersten Mal in ihrem Leben war Cetta ein Mädchen wie jedes andere. Und als sie ihn umschlungen hielt, spürte sie, dass sie diesen wunderbaren Mann, der sich für sie interessierte, nicht verdient hatte.
»Ich arbeite als Hure im Bordell an der Kreuzung 8th Avenue und West 47th Street«, raunte sie ihm ins Ohr.
Sie spürte, wie Andrews schmaler Körper erstarrte, bevor er sich langsam aus der Umarmung löste.
»Ich muss jetzt gehen«, sagte er.
»Ja ...«
»Es gibt noch so viel zu organisieren ... Du weißt ja, der Streik ...«
»Ja ...«
»Also, ich gehe dann jetzt.«
»Danke für das Abendessen«, sagte Cetta leise, ohne den Blick zu senken, denn sie wusste, sie würde Andrew nie wiedersehen. »Es war wunderschön.«
Er deutete ein Lächeln an, dann drehte er sich um und ging davon.
»Danke für den Kuss«, murmelte Cetta, während sie ihm nachsah, bis er um die Ecke bog.
In ihrem Zimmer ließ sie sich aufs Bett fallen. Ich hatte geschworen, niemand anderen zu küssen, dachte sie, während sie Leo streichelte, den abgewetzten Stofflöwen, den Christmas von Sal geschenkt bekommen hatte. Und als die Tränen sie übermannten, erhob sie sich rasch vom Bett und lief zum Bordell, erzählte Ma’am, Christmas sei wieder gesund, und arbeitete bis tief in die Nacht.
Zwei Wochen später, am Silvesterabend, teilte Ma’am ihr mit, ein Freier erwarte sie im grünen Zimmer. Cetta legte ein wenig Lippenstift auf, rückte ihre Brüste im Mieder zurecht und ging in das Zimmer.
Es war Andrew. Er stand mit dem Rücken zu ihr und blickte aus dem Fenster. Als er die Tür ins Schloss fallen hörte, drehte er sich um.
»Ich muss Tag und Nacht an dich denken.« Er kam auf sie zu, umarmte sie und presste sie an sich, wie er es mit einem ganz normalen Mädchen nie getan hätte. »Ich begehre dich zu sehr.« Er küsste ihren Hals und ließ seine Hände über ihre Hüften gleiten und noch tiefer, bis unter ihr Kleid.
Cetta erlaubte ihm nicht, dass er sie auf den Mund küsste. Sie legte sich aufs Bett und öffnete die Beine. Als sie den Kopf wandte, sah sie, dass Andrew fünf Dollar auf den Nachttisch gelegt hatte.
Andrew zog sich aus und legte sich zu ihr. Er fasste sie an und drang in sie ein, wie er es mit einem anständigen Mädchen nie getan hätte. Als sie fertig waren, kleidete er sich rasch wieder an. Cetta hingegen blieb nackt auf dem Bett liegen.
»Ich bitte dich, zieh dir was über«, sagte Andrew da.
»Die halbe Stunde ist um«, entgegnete Cetta.
Kopfschüttelnd hielt Andrew sich die Augen zu. Er zog einen weiteren Fünf-Dollar-Schein aus der Brieftasche und hielt ihn Cetta hin. »Hier, ich zahle dir noch eine halbe Stunde.«
Cetta nahm das Geld und legte es auf den Nachttisch.
»Zieh dir was über, Cetta«, sagte Andrew.
Träge schlüpfte Cetta in die Kleider, die Andrew ihr zuvor beinahe vom Leib gerissen hatte.
Andrew hatte sich mit dem Rücken zu ihr auf der Bettkante niedergelassen. Und auf einmal stützte er den Kopf in die Hände und begann zu schluchzen. »Verzeih mir«, bat er mit tränenerstickter Stimme. »Ich komme
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