Der junge Gelehrte
selbst den kluegsten Einfall, den du zeitlebens gehabt hast.
Vierter Auftritt
26
Der junge Gelehrte
Anton . Vor zwanzig Jahren moechte er klug genug gewesen sein.
Damis . Glaube mir, noch bist du zu den Wissenschaften nicht zu alt. Wir koennen in unsrer Republik schon mehrere aufweisen, die sich gleichfalls den Musen nicht eher in die Arme geworfen haben.
Anton . Nicht in die Arme allein, ich will mich ihnen in den Schoss werfen.—Aber in welcher Stadt sind die Leute?
Damis . In welcher Stadt?
Anton . Ja; ich muss hin, sie kennenzulernen. Sie muessen mir sagen, wie sie es angefangen haben.—
Damis . Was willst du mit der Stadt?
Anton . Sie denken etwa, ich weiss nicht, was eine Republik ist?—Sachsen, zum Exempel—Und eine Republik hat ja mehr wie eine Stadt? nicht?
Damis . Was fuer ein Idiote! Ich rede von der Republik der Gelehrten. Was geht uns Gelehrten Sachsen, was Deutschland, was Europa an? Ein Gelehrter, wie ich bin, ist fuer die ganze Welt; er ist ein Kosmopolit: er ist eine Sonne, die den ganzen Erdball erleuchten muss—
Anton . Aber sie muss doch wo liegen, die Republik der Gelehrten.
Damis . Wo liegen? dummer Teufel! die gelehrte Republik ist ueberall.
Anton . Ueberall? und also ist sie mit der Republik der Narren an einem Orte? Die, hat man mir gesagt, ist auch ueberall.
Damis . Ja freilich sind die Narren und die Klugen, die Gelehrten und die Ungelehrten ueberall untermengt, und zwar so, dass die letztern immer den groessten Teil ausmachen. Du kannst es an unserm Hause sehen. Mit wieviel Toren und Unwissenden findest du mich nicht hier umgeben? Einige davon wissen nichts, und wissen es, dass sie nichts wissen. Unter diese gehoerst du. Sie wollten aber doch gern etwas lernen, und deswegen sind sie noch die ertraeglichsten. Andre wissen nichts und wollen auch nichts wissen; sie halten sich bei ihrer Unwissenheit fuer gluecklich; sie scheuen das Licht der Gelehrsamkeit—
Anton . Das Eulengeschlecht!
Damis . Noch andre aber wissen nichts und glauben doch etwas zu wissen; sie haben nichts, gar nichts gelernt, und wollen doch den Schein haben, als haetten sie etwas gelernt. Und diese sind die allerunertraeglichsten Narren, worunter, die Wahrheit zu bekennen, auch mein Vater gehoert.
Anton . Sie werden doch Ihren Vater, bedenken Sie doch, Ihren Vater, nicht zu einem Erznarren machen?
Damis . Lerne distinguieren! Ich schimpfe meinen Vater nicht, insofern er mein Vater ist, sondern insofern ich ihn als einen betrachten kann, der den Schein der Gelehrsamkeit unverdienterweise an sich reissen will.
Insofern verdient er meinen Unwillen. Ich habe es ihm schon oft zu verstehen gegeben, wie aergerlich er mir ist, wenn er, als ein Kaufmann, als ein Mann, der nichts mehr als gute und schlechte Waren, gutes und falsches Geld kennen darf und hoechstens das letzte fuer das erste wegzugeben wissen soll; wenn der, sage ich, mit seinen Schulbrocken, bei welchen ich doch noch immer etwas erinnern muss, so prahlen will. In dieser Absicht ist er ein Narr, er mag mein Vater sein, oder nicht.
Vierter Auftritt
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Der junge Gelehrte
Anton . Schade! ewig schade! dass ich das insofern und in Absicht nicht als ein Junge gewusst habe. Mein Vater haette mir gewiss nicht so viel Pruegel umsonst geben sollen. Er haette sie alle richtig wiederbekommen; nicht insofern als mein Vater, sondern insofern als einer, der mich zuerst geschlagen haette. Es lebe die Gelehrsamkeit!—
Damis . Halt! ich besinne mich auf einen Grundsatz des natuerlichen Rechts, der diesem Gedanken vortrefflich zustatten koemmt. Ich muss doch den Hobbes nachsehen!—Geduld! daraus will ich gewiss eine schoene Schrift machen!
Anton . Um zu beweisen, dass man seinen Vater wiederpruegeln duerfe?—
Damis . Certo respectu allerdings. Nur muss man sich wohl in acht nehmen, dass man, wenn man ihn schlaegt, nicht den Vater, sondern den Aggressor zu schlagen sich einbildet; denn sonst—
Anton . Aggressor? Was ist das fuer ein Ding?
Damis . So heisst der, welcher ausschlaegt—
Anton . Ha, ha! nun versteh ich's. Zum Exempel; Ihnen, mein Herr, stiesse wieder einmal eine kleine gelehrte Raserei zu, die sich meinem Buckel durch eine Tracht Schlaege empfindlich machte: so waeren Sie—wie heisst es?—der Aggressor; und ich, ich wuerde berechtiget sein, mich ueber den Aggressor zu erbarmen, und ihm—
Damis . Kerl, du bist toll!—
Anton . Sorgen Sie nicht; ich wollte meine Gedanken schon so zu richten wissen, dass der Herr unterdessen beiseite
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