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Der junge Goedeschal - Roman

Der junge Goedeschal - Roman

Titel: Der junge Goedeschal - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Jenes auf seinen Knien, nun spürte er an den Händen die ölige Wolle des Aufgefundenen, und während seine Augen gleichgültig den am Käfig befestigten Zettel durchstreiften: »Du darfst ihn behalten … Deine Eltern«, murmelte er, ganz von Hingebung durchtränkt: »Ich war schlecht zu dir, nun bist du doch wieder da, mein Hans!«
    Doch als jetzt, nach endlosem Absturz jenes erlittenen Verlassenseins, sich endlich wieder die spürende Nase des Tieres in seine Handfläche drängte, sah er auf und begriff. »Geschenkt! Zum Geschenk bekommen von anderen, ihn, dessen Liebe ich mir selbst schenkte! Nun werden sie bei Tisch fragen, wie es dir geht, die Geschwister werden dich sehen wollen, über deinen Pelz streichen fremde Hände.«
    Jener Zettel breitete seinen weißlichen Schein über den ganzen Horizont aus. »Jetzt bist du nicht mehr mein: jetzt für den ersten besten gemeint. Aber ich will es sein, was hülfe mir an alle Verschwendetes!«
    Die Hände hinter sich gelegt, suchte er mit seinem von Tränen überströmenden Blick das geduckte Tier. Vom aufzuckenden Bein ins Wanken gebracht, von den Knien im Hinabgleiten aufgehalten, füllte es nun Kais Schenkel mit nur ihm geltender Wärme; im festeren Zusammenpressen ging zages Sträuben der Tiermuskeln auf, das seine Nerven mit nie geahnter elektrischer Wärme tränkte, – flimmernd schienen sie in seinem Leibe zu segeln wie Wasserpflanzen, durchkämmt von der Strömung eines Baches, feierlich schleppten sie und bebend in ihm gleich jenen an Quallen hängenden Spürfäden.
    Dann aber, ganz verloren an den trunken peinigenden Rausch dieser Minuten, sahen seine verwirrten und schmerzlichen Blicke auf die plötzlich erwachten Hände, wie sie–  von selbst – sich um den Hals des Tieres schlossen, dass der schwere Körper in der Luft hing, gekrümmt; und nun, in kehlzupressender Arbeit der Finger, zwang sich der Leib unter wildem Zucken zum Kreise, fiel in der Lockerung des Umklammerns schwer hinab, und schon wiederholte sich dieses totenhafte und starre Spiel: Loslassen, Zupacken, Verkrümmen, letzter Atem und neues Hoffen.
    Aber in alldem – überströmt von seinen Tränen, einem verzweifelten Schmerze ausgeliefert – blieb jener allein des Sehens wert: jener bewegliche und ganz fremde Tanz seiner Finger, in deren auf der Innenseite gewölbten Spitzen Sensationen aufzugehen schienen, während elektrische Funken sie nadelspitz durchstachen. Und in diesem Leiden war plötzlich das Leben da, so von je geahnt – plötzlich heroisch aufgetan und entfaltet, dem flammenden, lang verborgenen Futter eines Mantels gleich, über dessen scharlachene Farben dunklere Schatten gespensterhaft huschten; war das Leben da: nicht fremd, unerkämpft, ohne Pläne, Vorbereitungen, Sorgen, lehnte sich an seine Brust und hauchte in seinen Mund eine sengende Glut, die in den Eingeweiden wie Messer wühlte; war das Leben da, das liebe Leben, bis – bis die letzte Krümmung verebbte, bis über den weggefallenen Kadaver fortschreitend nur noch Kai dies eine blieb: in die Schule zu gehen und sich der Täuschung einer allgemeinen Bravheit und Beflissenheit anzuschließen.

22
    Im aufgelichteten Himmel trieben nun weiße Wolken langsam der Sonne entgegen, ihr Abglanz streifte die Flächen der Schneewasserpfützen; blau umrahmt hob er sich blind der besonnten Weite zu. Auf einem Baum lärmten Vögel. Wiesie, im Aufflattern, die Luft mit kleinen, knatternden Geräuschen erfüllten, war es Kai, als müsse er sich über Ilses Hand beugen: »Dass ich Sie noch getroffen habe!«
    »Wie Sie gelaufen sind!«
    Im Aufbrechen ihres Blickes floss Wärme über sein Gesicht, nun schien, nahe bei ihm, eine Schwester jener ferneren Sonne am Himmel sich entschleiert zu haben.
    Er tastete in die Tasche, griff mit zwei Fingern das Buch; aber dann, zögernd: »Ich habe es vergessen …! Wann soll ich es Ihnen nun geben?«
    »Darum liefen Sie mir so nach, um am Ende zu finden, dass Sie das ›Jettchen‹ vergaßen? Nun, an einem andern Mittag, auf dem Heimweg.«
    Er murmelte, während die Stimme von diesem übergroßen Mut bebte: »Mittags! Wie oft werde ich Sie verfehlen! Und so wenig Zeit! Wenn es ein andermal … nachmittags …?«
    Sie zweifelte, dann rasch: »Wenn Sie wollen. Ich gehe heut um fünf zu einer Freundin. Wenn Sie mich dann hier treffen wollen?«
    »Ja, o ja, vielen Dank!«
    »Also um fünf. Und nun auf Wiedersehen.«
    »Auf Wiedersehen – um fünf.«
    Es schien ein Zwang, sich, sie noch einmal

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