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Der junge Goedeschal - Roman

Der junge Goedeschal - Roman

Titel: Der junge Goedeschal - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Klang einer berührten Stimmgabel. Eine entschlossene Bewegung des Vaters: er legt die Serviette neben sich. Über den Tisch gebeugt: »Du hast Kai erlaubt, mit uns zu essen?«
    »Ja, Heinz, ich dachte … Er bat so, seine Strafe ist ihm erlassen.«
    Kai fühlt auf seinen Augenlidern einen Blick. »Karzer erlassen, Kai?«
    »Ja.«
    »Warum?«
    »Ich weiß nicht … Papa!«
    Draußen fällt eine Tür ins Schloss, in der Täfelung knackt es. »Weswegen, meinst du, verbot ich dir, mit uns zu essen? – Weil du Karzer bekommen hast?«
    Hinter dem Stuhl, Kopf gesenkt, Hände auf der Lehne, steht Kai. ›Ilse … Ilse …!‹
    »Karzer – eine Schulstrafe, die mir nicht genug schien. Darum bestrafte ich dich mit Ausschluss. Lächerlich, zu glauben, dass ich dich einer Strafe wegen bestrafte.«
    Um die Lehne die Hände gezwängt, sieht Kai in der blauroten Haut weiße Kreise aufgehen. ›Still, nur still! Dies hier gilt nicht. Draußen mit Sonne Wahrheit des Erlebens.‹
    »Dein Schweigen sagt, dass du das alles sehr gut wusstest. Umso jämmerlicher, deine Mutter zu bebetteln, zu bereden, in der Hoffnung, ich käme so spät, dass ich nichts merkte. – Du gehst auf dein Zimmer!«
    Stille, durch die leise nicht mehr zu verhehlendes Schluchzen der Mutter dringt.
    »Wird es bald! – – – Auf dein Zimmer!«
    Ein Wagen rasselt. Stille braust wie ans Ohr gebrachte Muschelhöhlung. Die weißen Kreise sind noch immer da. Hinter einem erfrorenen Gesicht werden Gedanken sein, von denen man nun nicht weiß. ›Und morgen der Wandervogel!‹
    »Kai, ich sage dir zum letzten Mal: auf dein Zimmer! Eins … zwei …!«
    Die Stimme der Mutter schwirrt auf: »Schlag den Jungen nicht, Heinz!« Sie zerbricht im Schluchzen. Und mit der Drei ist ein Schlag da, ein nicht schwerer Schlag, der Kai doch vom Stuhl reißt und befreit. ›Wie ich dich hasse! Oh, wie ich dich hasse! Bin ich Dreck, ein Verbrecher! Draußen das Leben! Und hier?! Das Kaninchen tot, von dir gemordet!‹
    Im sinnlosen Stammeln zerfließt Wut; nun weiß es Kai: nicht er Mörder des Hans, nein, der Vater, um der Liebe willen jenes erschlagen. Kai nur Werkzeug.
    Ins Zurücktreten des Vaters klingt mütterliche Anklage. »Zu hart, Mann! Zu hart! Alles soll nach deinem Kopf gehen. Alles knechtest du!« Hilflos weinend, im Anblick seines Gesichtes: »Auch mich! Mich auch!«
    Sitzend umschaut der Vater den Tisch: Kais halb ins Dämmer verfließendes, von Tränen beströmtes Gesicht; die Kinder, ihre Augen schluchzend in Hand oder Mundtuch verborgen; gebeugt, geröteten Auges, Margrit. Und nun, die eigenen Tränen mit zornigem Lächeln verdeckt: »Bin ich ein Tyrann? Meine Tafelrunde weint!« Aber dann, im Verstehen: »Margrit, ich dich knechten! Du das mir!«
    »Du bist so hart, Mann, so unnachgiebig!«
    Und nun eine andere Stille; ein Wanken dann, ein Fall, das Gesicht in der Mutter Schoß verborgen, schreit der Vater: »Wach auf, Margrit, das ist doch nicht wahr!«
    Und Kai – wo ist Zorn, Empörung, wo Hass? Beim Zusammenbruch des Vaters – was ist das für eine Stimme! – ist nur die Liebe da, die alte Liebe, die hinstürzen möchte und flehen: »Nicht dies ist wahr, nicht dies!«
    Aber von Lotte fortgeführt, ist hinter jener Tür dort unten Gemeinsamkeit, ihm genommen und abgetrennt, und allein in seinem Zimmer – umsonst die Opfer! – Einsamkeit wie nur je.

24
    »Wie klagte sie! Ihr Gesicht von Tränen überströmt und gerötet! Auch sie in Knechtschaft! Mein Leid wäre nicht einzig? Schreit es, klagt und stöhnt man um mich, tags wie nachts, und bin ich nur taub? Zu sehr in mich versenkt, um den stockenden Atem anderer zu hören? Bin nicht allein; schon für Trost bereitet durch Einblick in ihr Gesicht, bis aufs Herz beruhigt im Neigen über ihre angstvolle Hand? – Nein! Alles anders; keine Hilfe in dem. Stürzte Papa nicht vor ihren Tränen auf die Knie, fing er nicht, ihr zur Hilfe, schluchzendes Leid in seinem Arm? Wie sah er aus! So blass! So viel Falten! Ach, unmöglich, selbst ihnen noch zu glauben. Nirgends Einheit. Nicht einmal ihn kann ich von jetzt hassen, auch er leidet. Vielleicht liebt er mich. Liegt auch er nächtens wach, zählt die Uhrschläge vom Turm und bedenkt Wege, die zu gehen sind? Sucht, fieberhaft hochfahrend, neue, andere: bessere? Wo ist Rettung?«
    Er stöhnte auf. Zum Becken gehend, sah er im Spiegel die überquellenden Augen, das tränengenässte Gesicht. »Nein, nicht mehr weinen! Wie stand ich vor ihm! Ich habe ihm meinen

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