Der junge Goedeschal - Roman
ganzen Hass ins Gesicht geschrien, meinen ganzen Hass, den ich schon nicht mehr habe.«
Es klopfte. Das Gesicht gegen die Scheibe gelehnt, hörte er den Singsang des Mädchens. »Herr Kai möchten zu den Eltern kommen.«
»Es ist gut.« Er rührte sich nicht. »Schon wieder wollen sie mich. Noch nicht genug? – Merkwürdig, die Tür hat nicht geklappt? Ist das Mädchen noch da? – Nein, ich will mich nicht umsehen. – Ich muss. – Nein, nein.«
Das Genick versteift, die Augen gebunden: »Dort die Spatzen auf dem Draht: ein, zwei, drei … fünf … sieben. Ich willwarten, bis zwölf dort sind oder alle fort, dann erst darf ich mich umwenden.«
Er schloss die Augen, und neu sie öffnend, flehte er: »Wie blau ist der Himmel! War er je so blau? Er ist unendlich. Sonne, Mond und Sterne in ihm. Dort die Venus. – Ach, hinter mir atmet etwas. – Ich darf mich nicht umdrehen.«
Seine Augen suchten die Vögel. »Fünf … neun – noch drehe ich mich nicht um, ich verspreche es mir, ehe nicht zwölf … aber ich muss. Welche Angst.« Er wandte den Blick: ihm zu Gesicht stand das Mädchen, den Kopf gebeugt – »wie fettig glänzen ihre Haare!« –, mit vorgestoßener Stirn, die Augen unbelebt ihm zu. Lange, ohne Blinzeln. Ihr Atem stürmte.
Was war das Fremde? Luft roch schweißig. Sie stichelte an der Haut. In den Taschen die Hände bebten. Plötzlich stürzte Blut und Blut durch seine Wangen, Feuer brannten lodernd im Hirn. Verdunkelnder Qualm füllte das Zimmer, machte die Lungen zucken.
Sein Blick verließ sie, fiel. Er murmelte: »Was wollen Sie noch, Erna?«
Breit, wie lahm gedreht in den Gelenken ihre Hände. Bebend quirlten die Finger umeinander.
»Was stehen Sie hier, gaffen? Spionieren Sie?«
»Nicht traurig sein, Herr Kai, wir mögen Sie alle – so gerne.«
Ganz leise: »So gerne.«
Wie denn? Hatte es nicht geklungen, ein fernes Läuten, das näher stürmend an ihm sich brach: Wir mögen Sie – alle – so gerne?
»Nicht wahr, du? Der Himmel ist blau? Sonne träuft von den Dächern. Die Lokomotiven kreischen Freiheit in die Luft … Wie dunkel. Vorhänge fallen. Ist hier kein Fenster …? Ich bin so schwindlig … Ja, so, so an deine Brust. Wie rastdein Herz. Schreit es auch …? Ich glaube, ich versinke … Die Spatzen schreien. Ich weiß, ich habe mein Wort gebrochen. Aber nun liege ich so … Bist du das, Erna? Ist das Fleisch, diese Nähe …? Nein, nicht dein Mund. Nicht dein Mund! Ich kann nicht! Ich sterbe … Die Welt ist untergegangen. Still! Still! Du!«
Er wird ruhig, sein Stammeln löscht aus. Über den Schuppendächern des Bahnhofs verglimmt fahler Schein. Seinen Kopf zwischen den geröteten Händen, sieht sie über ihn fort, starr in die Weite des Horizonts. Ihre Brust atmet ebenmäßig.
»So. Ja, so wie Wellen. Immer geschaukelt. Einschlafen. Vergessen. – Deine Brust ist Tod, Grab und die ewige Seligkeit.«
Stille, ganz lange Stille. Auf der Straße entflammt man die Laternen. Das Mädchen räuspert sich. »Junger Herr, es ist Zeit. Sie müssen runter.«
»Ja, ja, gleich, nur eine Minute. Ich bin so müde.«
Die Spatzen sind aufgeflogen, den schwarzen Himmel beziehen Wolken. »Es ist Zeit, junger Herr.«
»Ich kann nicht erwachen. Nur schlafen.«
Sie hebt seinen Kopf. Stellt ihn gegen das durchleuchtete Fenster. Er schrickt auf. »Ich muss gehen.« Er greift an seine Augen, reibt die Stirne, zwischen den Fingern sein Haar knistert trocken. »Erna … wie? Waren Sie das wirklich? – Erna …! Nein, nein, ich habe geträumt.«
Er sieht die beschmutzte Bluse – versank dort sein Leid? Er duckt sich zusammen. Klein; zu sich: »Nein, ich darf es nicht sagen … Doch, ich muss.« Lauter dann, noch mehr gebückt: »Erna, neulich auf der Treppe – ich habe Ihre Beine gesehen, Ihre Beine bis zum Knie.«
»Junger Herr!«
Er bewegt die Hand, vorwärts schleichend, von unten in ihr Gesicht geflüstert: »Schöne Beine, weiße Hosen, roteBänder …« An der Tür, plötzlich gestrafft, schreiend: »Alles habe ich gesehen! Alles!! Alles!!!«
»Junger Herr, junger Herr, wenn ich gewusst hätt, dass Sie so sind …«
Und er, wieder leise geworden und ganz entleert: »Ja ja, Erna, Enttäuschungen. – Adieu.« Er geht – beim Öffnen fällt vom Türrahmen eine Last auf seine Schultern. »Habe ich meine Schiffe verbrannt?« – Trocken schluchzt er auf.
25
Kai stürmte die Straßen entlang. Kaum dem Lichtschein einer Laterne entronnen, rief ihn der freundlich erhellte
Weitere Kostenlose Bücher