Der junge Goedeschal - Roman
Stich? Tat ich nicht immer alles, was er wollte? Und nun?«
Von unten her meinte er die Schwingungen unermüdender Schritte zu hören, schwang mit, bis im dunkelglänzenden Spiegel sein schattenhaftes Gesicht aufstieg. Er riss ihn von der Wand, entflammte das Licht, hielt ihn vor sich. »Ja, so sehe ich aus! Maske! Totenstarre! Die Wangen wie sonst und die Lippen und das Haar. Leidest nicht einmal du mit! Bin ich denn dann ganz allein! Von mir selber verlassen! Ich muss weinen, weinen, kommt, meine Tränen, kommt, kommt, kommt, ich muss es sehen, schmecken, spüren an eurer Nässe, dass ich leide.«
Er sah starr auf sich. Der Ausdruck seiner trockenbrennenden Augen schien ihn zu verhöhnen. Aufs Bett hingeworfen, wühlte er das Gesicht immer tiefer in die Kissen. »So dunkel! Dunkel! Nur Nacht! Gelbe und grüne Räder gehen auf, drehen sich.«
Die Haut glühte, in die Backen presste sich der Überzug, die Zähne verbissen sich darin. Die Luft fing an zu brausen wie eine Muschel; dann musste er wieder hoch und Atem holen.
Er starrte irr das ruhig erhellte Zimmer an. Es machte seinen Taumel nicht mit. Die Gardinen hingen ruhig und steil, der auf dem Tisch gebliebene Spiegel warf einen weißen Reflex zur Decke, die Bücherrücken sahen von ihm fort.
»Ach, auch ihr seid angefüllt von Leben und Leiden! Auch in euch schreit Schmerz. Aber immer geht irgendwo auf euernweißen Seiten eine strahlende Sonne auf. Nein, ich will nicht, ich muss suchen, darf den Mut nicht verlieren.«
Über das erhitzte Gesicht rann Wasser. Durch die geöffnete Tür lauschte er der Stille des Hauses zu. Er schlich die Treppe hinab. Stufen knarrten. Die Täfelung knackte. Vor der Zimmertür des Vaters meinte er zu fallen vor anstürmenden Herzwellen. Drinnen sprach’s halblaut, ruhig.
»Eingesperrt! Nein, ich will nicht! Ich will nicht! Befehlt! Kommandiert! Ich tu, was ich mag.«
Laut auftretend ging er an der Tür vorüber. Das Reden stockte. Von einer neuen Furcht gepackt, riss er Mantel und Mütze an sich, rannte ins Dunkel.
Nach ihm schien ein Ruf des Vaters zu greifen.
20
Der Wind, der die Straße hinter ihnen hinabjagte, holte sie ein, stürmte auf den Markt und war plötzlich verflogen und verstummt.
Aufatmend zeigte Kai zum ruhigen Nachthimmel empor: »Sieh die Sterne! So viele. So still.« Arne folgte seinem Blick, heftiger fragte ihn Kai: »Wenn du sie anschaust, was denkst du?«
Er zögerte; mit dem Finger an seinem Mantel herumtastend, flüsterte Arne schließlich von weißen Füßen kleiner Kinder, die sich in einer Kirche verirrt haben.
»Steht bei Hofmannsthal«, sagte Kai, »schade, schade.«
»Und du? Was denkst du?«
»Ich …, ja, du, übrigens die Margot …«
Arne riss den Blick vom Himmel los und sah Kai an: »Ja, du, die Margot. Süß, nicht? Wie sie uns die Hand gab!«
»Und wie sie ›liebe kleine Jungen‹ sagte.«
»Ich wäre ganz sicher …«, begann Arne, aber Kai unterbrach ihn: »Was glaubst du, ob solche Mädchen glücklich sind?«
»Glücklich? Ich weiß nicht. Glaube kaum. Immer um Geld.«
»Ja, siehst du«, sagte Kai leise und griff nach Arnes Arm, »das alles ist doch nur Taumel, Rausch für sie. Am Morgen aufwachend, entdecken sie, wie viel schöner die Welt war, als sie noch draußen waren, Fliederblüten und Jasmin, und statt greller Cafés Waldflächen und Feldbreiten sie erwarteten.«
»Ja, und?«
»Ja, ich habe gedacht, Arne …, aber du darfst keinem Menschen ein Wort davon sagen, versprich es … Ich habe gedacht, ob man sie nicht glücklicher machen, ihnen helfen könnte.«
Arne schwieg. Kai sah rasch auf. »Sie sind so allein. Alle verachten sie. Die reine Liebe sein sollten, haben nichts als Verachtung. Wenn man sie erlöste …«
»Aber wie! Kai! Wie denn?«
»Ich habe gedacht … Luther ist nicht das Richtige. Aber was meinst du, Christus? ›Du hast viel geliebt, darum soll dir viel vergeben werden.‹«
»Und du meinst, Margot …?«
»Du musst mich nur recht verstehen, Arne. Siehst du, ich will ja nichts von ihr, ich will etwas für sie. Ihr helfen.«
»Wie sie lachte. Als sie auf den Stuhl stieg, schwankte das Sektglas in ihrer Hand, sie sang: ›Wenn ein Mädel einen Herrn hat‹ …«
Kai sah zur Erde. Einer Vision gleich, war es da: der Rock, im Hinaufsteigen auf den Stuhlsitz verschoben, entblößteKnöchelansatz und ein Stück Wade. Kleine Schreie ausstoßend, sang sie.
»Auch diese Welt gibt es. Sie wissen alles.« Lauter: »Ihr helfen!«
»Aber wie,
Weitere Kostenlose Bücher