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Der junge Häuptling

Der junge Häuptling

Titel: Der junge Häuptling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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hielten, drängten zu einer engen Kette zusammen, um den Flüchtenden auf alle Fälle aufzuhalten. Auch Adams hatte den Gedanken, der alle bewegen mochte: daß das Schauspiel von bockendem Hengst und kämpfendem Reiter, das sich eben vor aller Augen abgerollt hatte, wirklich nur ein Schauspiel gewesen war und dem Indianer dazu dienen sollte, überraschend in vollem Galopp aus dem Tor auszubrechen.
    Die Augen der Männer hatten sich zu schmalen Schlitzen geschlossen, und sie hielten den Finger am Abzug ihrer Schußwaffen.
    Oben vom Turm klang ein Ruf, mehr ein Laut als ein Wort. War es Erstaunen, Erschrecken, Triumph oder Warnung? Im hinteren Hof mußte etwas geschehen sein. Der Hufschlag hatte aufgehört, vielleicht waren Pferd und Reiter gestürzt. Die Wachen an dem Palisadenring, die den hinteren Teil des Hofes übersehen konnten, schrien laut auf, und gleichzeitig setzte der stürmende Galopp hinter dem Kommandantenhaus wieder ein. Der Hengst erschien – ledig! Wie der Wind flog er dahin, aus dem Tor hinaus. Der kraftvolle Körper des Tieres streckte sich und schnellte ab, und mit einem einzigen Sprung durchbrach der Wildhengst die Sperrkette der Rauhreiter vor dem Tor. Die Reiter wendeten sofort ihre Tiere und machten Jagd auf den Falben. Mit donnerndem Hufgepolter, mit wurfbereiten Lassos waren sie hinter ihm her. Aber kein Lasso konnte das Pferd mehr einfangen, das allen anderen Tieren an Schnelligkeit weit überlegen war. Ohne Reitergewicht spielte der Mustang mit seinen Verfolgern und äffte sie voll Übermut, indem er bald anhielt, bald wieder ausbrach.
    »Die Esel«, krächzte eine Stimme, und als Adams sich umwandte, erkannte er die Zwillingsbrüder Thomas und Theo, die hinter ihm standen.
    Wieder klang ein Schrei vom Turm und diesmal auch ein Schuß und wieder ein Schrei. Jim hängte sich aus seinem Auslug hinaus, als ob er sich hinunterstürzen wolle. »Achtung«, schrie er. »Ins Wasser ist er! Über die Pfähle weg!«
    Die Soldaten und Rauhreiter, die sich noch im Hof befanden, brüllten auf. Die wenigen Wachen an den Palisaden hatten schon angelegt und schickten Salve über Salve nach dem Fluß. Auf Befehl des Majors wurden die Verfolger des entflohenen Mustangs zurückgerufen und mußten die Suche nach dem Indianer im Fluß unterstützen. Adams sprang die Turmtreppe hinauf zu Jim.
    »Mann!« rief er ihn an. »Was war denn überhaupt los? Wie konnte der Rote über unsere Pfähle kommen?«
    Jim feuerte weiter nach dem Fluß und erzählte dabei in abgehackten Sätzen. »Die rote Bestie! Sollst du das für möglich halten? Er war im hinteren Hof gestürzt mit seinem Teufelspferd – ich denke, Genick durch, und schreie, daß ihr auf das Pferd aufpassen sollt – nicht aufgepaßt habt ihr – der Rote lag einen Moment wie tot auf dem Boden – auf einmal ist er wieder auf – nimmt einen Anlauf – springt an den Pfählen hoch, ich weiß auch nicht wie – wie eine Pantherkatze – schon hat er die Spitzen in der Hand und schwingt sich drüber weg – ich durfte noch nicht schießen, leider nicht, wegen des Majors mit seinen spleenigen Ideen – und der Rote läßt sich hinter den Palisaden ins Wasser fallen – da hat er Glück gehabt, daß das Wasser jetzt bis zu unseren Pfählen reicht. Aber tief ist es da nicht – ich habe sofort geschossen –«
    »Nicht getroffen?!«
    »Wie soll ich treffen, mein guter Geselle, wenn der Rote so raffiniert dicht an den Pfählen stürzt, daß ich ihn von hier aus gar nicht treffen kann? Denn die Flinte, die um die Ecke schießt, die ist noch nicht erfunden! Aber es kann sein, daß er am Fuß oder an der Wade einen Streifschuß hat. Schien mir so.«
    Adams überschaute den Fluß. Er war um diese Jahreszeit eiskalt, weil er Schmelzwasser mitführte, und lange hielt auch kein Dakota in diesem Wasser aus, ohne daß sein Herz versagte. Er mußte den Fluß verlassen, und das war der entscheidende Augenblick. Aber wie weit war er schon hinauf- oder hinuntergeschwommen? Das wußte keiner. Die Indianer waren ausgezeichnete Schwimmer und Taucher. Adams schien es, daß die Ufer auf zu kurze Entfernung besetzt waren; man hätte weiter flußauf- und -abwärts beobachten müssen. Aber Adams verspürte keine Lust, dem Major darüber Ratschläge zu erteilen. Er war befriedigt gewesen, daß der Kommandant den Leutnant Roach mit der Pistole zurechtgewiesen hatte, und doch war er auch gegen Smith verärgert. Der Alte war nicht von Natur schlecht, aber er steckte in einem Korsett von

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