Der junge Häuptling
verstiegenen Vorstellungen. Immer wieder hatte Adams sich in den vergangenen zwei Jahren daran gestoßen, immer wieder wurde er hin und her gerissen von Sympathien und Antipathien gegenüber dem Major. Heute hatte sich Smith mit seinen Ehranschauungen zwischen zwei Stühle gesetzt und einen erbitterten Feind ohne Not noch mehr erbittert, ohne ihn gleichzeitig unschädlich zu machen.
Mochte der Rote doch entkommen! Adams war es recht. Zwar hatte auch er diesen Gegner zu fürchten, aber er hatte ihn ins Fort geleitet, und er fühlte sich dafür verantwortlich, daß der Häuptling das Vertrauen, das er dabei in den weißen Mann gesetzt hatte, nicht mit dem Leben bezahlte.
»Der Rote hat uns nicht schlecht gefoppt, und verdient haben wir’s!« faßte Adams sein abschließendes Urteil Jim gegenüber zusammen.
Dann ging er die Turmtreppe wieder hinunter. Das Treppenhaus hatte nicht nur eine Tür direkt zum Hof, sondern auch einen Zugang zum Arbeitszimmer des Kommandanten. Als Adams durch die Zwischentür dort eintrat, fand er den Raum nicht leer. Cate, die Majorstochter, saß noch auf der Wandbank am Fenster. Schade um das Mädchen, dachte Adams. Wenn sie wüßte, wie sie aussieht! In der Prärie in einem langen Rock! Er hatte vor, sich nicht aufzuhalten, aber das Mädchen sprach ihn an. Sie wollte natürlich wissen, was sich ereignet hatte.
»Der Rote ist uns durch und das Pferd auch«, gab Adams kurz und bündig Auskunft.
»Das ist mir unbegreiflich«, meinte Cate. »Können denn die Indianer mehr als wir?«
»Zuweilen scheint es so.«
»Ich habe kürzlich ein Gespräch mit General Benteen mit angehört«, fuhr das Mädchen fort, und Adams hatte den Eindruck, daß sie ihm mit dieser Bekanntschaft imponieren wollte. »Er nannte die Sioux die größten Krieger unter der Sonne.«
»Das muß dann wohl wahr sein, und Benteen kann es selber noch einmal ausprobieren. Soviel ich gehört habe, wird auch er Truppen in das Dakotagebiet führen.«
»Ja, er soll eine Truppe führen.«
»Ja, eine Truppe führen. Ich wollte auch nicht sagen, daß er selbst kämpft. Obwohl man in der Prärie nicht wissen kann, in welche Lage man kommt. Auf einmal sitzt man als junge Dame mit einem langen Rock zwischen roten Skalpjägern …«
Cate versuchte zu lächeln. »Mein langer Rock gefällt Euch nicht? Seid Ihr darum so kratzbürstig? Mir gefällt er auch nicht. Aber ich durfte meine Tante Betty nicht mißtrauisch machen. Sie sollte nicht ahnen, daß ich mit der Kolonne hierherfahren wollte. Ich konnte also nicht in meinem Reitdreß fortgehen, das wäre aufgefallen, und darum sitze ich hier in einem langen Rock.«
»Unvernünftig seid Ihr ja, und Eure Tante Betty scheint bedeutend vernünftiger zu sein«, urteilte Adams. Das hatte ihm gerade noch gefehlt, daß er verwöhnte junge Damen unterhalten sollte.
Cate schaute ihn prüfend an. »Ich merke schon, daß ich Euch aufhalte, aber eine Antwort mögt Ihr mir doch noch geben. Ihr habt gesagt ›sitzt in einem langen Rock zwischen roten Skalpjägern‹. Skalpieren die Indianer auch Frauen?«
Adams kämpfte mit sich. Sollte er die Wahrheit sagen? Jawohl, die Wahrheit. Er war gerade in der Stimmung dazu. »Die Roten skalpieren keine Frauen und Kinder. Sie schlachten Euch vielleicht ab, wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt, aber vor dem Skalpieren braucht Ihr Euch nicht zu fürchten. Es ist übrigens eine schmerzlose Prozedur, denn die Haut wird abgezogen, wenn man schon tot ist. Wenn Ihr aber einmal Skalpe sehen wollt, dann laßt sie Euch von Eurem Vater zeigen. Der sammelt Indianerskalpe für gutes Geld.«
Cate sprang auf. »Wer seid Ihr?«
»Adams heiße ich.«
Das Mädchen kämpfte um Worte. »Adams – das ist nicht wahr, was Ihr jetzt gesagt habt. Mein Vater ist ein Christ.«
»Die Pilgerväter waren’s auch und haben sich doch die Skalppreise verdient. Die Indianer skalpieren nur Männer um des Ruhmes willen. Wir skalpieren alles für Geld. Nicht mehr amtlich, aber privat nach Gutdünken. Euer Vater haßt die Roten, er sagt, sie haben seine Mutter ermordet bei dem großen Dakota-Massaker vor vierzehn Jahren, Anno 1862 in Minnesota. Und er kann sich nicht genug rächen. Deshalb zahlt er, wenn man ihm Skalpe bringt. – So, nun wißt Ihr’s. Ich wünsche weiter guten Appetit. Ihr habt noch immer einen Rest Suppe in der Schüssel.«
Adams verließ den Raum, nicht ohne zum Schluß noch höflich zu grüßen. Schließlich konnte das Mädchen nichts dafür, daß sie eine Gans
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