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Der junge Häuptling

Der junge Häuptling

Titel: Der junge Häuptling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Leutnant mochte die Worte des Feldschers, die dieser zu Cate sagte, aufgefangen haben. Sobald der Feldscher das Kommandantenzimmer verlassen hatte, erhob er sich mit einem leisen Stöhnen vom Feldbett und kam in den Arbeitsraum herüber. Die verbundene Hand hing in einer Schlinge.
    »Wie geht es dir, Cate?« erkundigte er sich, mehr höflich als teilnehmend, und setzte sich seiner Verlobten gegenüber. »Du scheinst wieder bei Kräften zu sein!«
    Das Mädchen antwortete nicht gleich. Sie versuchte, sich darüber klarzuwerden, was sie Anthony Roach gegenüber empfand. Er sah sehr blaß aus, sehr verbittert. Einen Tag früher noch wäre Cate übergeflossen vor Mitleid und Zärtlichkeit. Nach allem, was in den letzten zwölf Stunden geschehen war, scheute sie vor Roach zurück. Er hatte seine Braut im Stich gelassen und verleugnet, als sie sich in Lebensgefahr befand, und der Vater hatte nach Roach schießen müssen, um einen Verrat zu verhindern.
    »Anthony!« Cate hatte zuwenig Atem. Die Aufregung schnürte ihr die Kehle zusammen. »Anthony!«
    »Ja, Anthony, Anthony!« Es war wie ein Nachäffen. »Dein alter Herr, Cate, war offenbar nicht mehr ganz bei Sinnen, als er nach mir schoß und dadurch dem roten Meuchelmörder und Verbrecher die Gelegenheit zur Flucht verschaffte!«
    »Anthony! Ich verbiete Ihnen, in meiner Gegenwart in dieser Weise von meinem Vater zu sprechen!« Cate wurde heftig und erhob sich.
    »Ach, sieh an! Wollen Sie nicht die Ehre Ihres Vaters mit dem Degen schützen? Sie hätten das Zeug dazu.«
    »Mit Ihrem Spott können Sie mich nicht beeindrucken.«
    »Ganz Majorstochter! Liebst du mich nicht mehr, Cate?«
    Das Mädchen schlug die Augen nieder, aber sie steifte den Nacken. »Anthony – ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts mehr. Bitte, lassen Sie mir Zeit!«
    »Noch zwei Jahre Zeit, wie Tante Betty vorschlug?«
    »Sie mißverstehen mich, Leutnant Roach.«
    »Mißverständnisse scheint es heute vielfach zu geben! Ich lasse Ihnen Zeit nachzudenken, Cate. Aber Ihr Vater, der nach mir geschossen hat, wird trotzdem darauf bestehen, daß Sie mich heiraten. Sie sind mit mir hierhergefahren.«
    »Pfui, Leutnant Roach! Es ekelt mich vor Ihnen!«
    »Es wird mir eine Freude sein, wenn Sie diesen Ekel vor dem Traualtar überwinden!«
    Cate ging zur Tür, nicht schnell, nicht überhastet, sondern langsam. »Leutnant Roach«, sagte sie dabei, »ich sehe, daß ich mich selbst mißverstanden habe, als ich Ihre Verlobte wurde.« Das Mädchen wandte den Blick ab und ging so langsam, wie sie aufgestanden war, aus dem Arbeitszimmer ihres Vaters hinaus in den Hof. Im hellen Licht blieb sie stehen. Sie wußte von sich selbst, daß sie einen Entschluß gefaßt hatte, der unabänderlich bleiben würde. Cate Smith wurde nicht die Frau des Anthony Roach. Sie spürte eine stille Kraft in sich, die durch das Übermaß an Gemeinheit, wie sie aus den Worten von Roach sprach, geweckt worden war, und sie vertraute auf sich selbst. Auch die wirre Fülle der Gedanken und Gefühle, von denen sie noch umschwirrt wurde, konnte sie nicht aus dem gewonnenen Stand reißen.
    Anthony Roach war ein Lump. Cate Smith aber war ein Mädchen, dessen Großmutter noch zu Pferd mit der Flinte in der Hand eine Farm verteidigt hatte. Nicht einmal Tante Betty hatte Cates Selbstbewußtsein ganz zerbrechen können. Wie war es möglich gewesen, daß Cate einen solchen Menschen wie Roach zu lieben geglaubt hatte? Hatte sie sich selbst belogen, hatte sie den Schmeicheleien Anthony Roachs vertraut, um dem Leben bei Tante Betty entfliehen zu können? So mußte es gewesen sein, aber sie begriff sich selbst nicht mehr. Die täuschenden Schleier waren zerrissen.
    Cate begann allein durch den Hof zu schlendern. Sie kam an dem indianischen Kundschafter Tobias vorbei, der immer noch an den Pfosten gefesselt war. Er hatte sich auf den Boden gesetzt und schaute ausdruckslos vor sich hin.
    Das Mädchen empfand in ihrer Lage unwillkürlich mit jedem Lebewesen, das auch gequält zu sein schien. So blieb sie bei dem Indianer stehen, und da sie vor sich selbst, vielleicht auch vor anderen rechtfertigen wollte, daß sie bei einem zur Prügelstrafe bestimmten Indianer stehenblieb, sagte sie: »Tobias, sei doch nicht so unvernünftig, meinem Vater, Major Smith, die gebührende Auskunft zu verweigern. Du kannst offen zu ihm sprechen, wenn du ein gutes Gewissen hast. Mein Vater ist stets gerecht.«
    Der Indianer blickte nicht auf, gab auch sonst kein Zeichen, daß er

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