Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der junge Häuptling

Der junge Häuptling

Titel: Der junge Häuptling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
Vom Netzwerk:
Tschapa Kraushaar sie führte. Uinonah und Untschida brachen ihren Gesang ab, und Blitzwolke verstummte mit ihnen. Untschida wandte sich ab und gab damit das Zeichen, zurück zum Dorf und in das Häuptlingszelt zu gehen. Blitzwolke verstand. Der Biber würde in das Zelt Tokei-ihtos kommen und dort berichten, sobald er dem Zaubermann und dem Alten Raben berichtet hatte. Untschida und Uinonah zeigten sich nicht ungeduldig. Ungeduld hätte nicht der Sitte und nicht dem durch die Sitte geformten Charakter der beiden Frauen entsprochen. Blitzwolke empfand die verborgene zitternde Erregung der Häuptlingsmutter und der Häuptlingsschwester mit, aber auch sie sagte nicht ein Wort. Still wollten die drei Frauen abwarten, welche Nachrichten der Biber über Tokei-ihto bringen würde. Tschapa Kraushaar galt als Blitzwolkes Oheim, und das Mädchen hätte ihn im eigenen Zelt treffen, und sie hätte versuchen können, dabei etwas zu erfahren. Aber es erschien ihr unerträglich, eine Nachricht über Tokei-ihto vor oder ohne Uinonah zu hören.
    Die Frauen setzten sich. Uinonah brachte das Zeltfeuer in Gang.
    Es dauerte nicht länger als eine halbe Stunde, da schlüpfte Tschapa Kraushaar durch den Zelteingang herein und ließ sich beim Feuer nieder. Untschida und Uinonah kamen näher heran, während Blitzwolke bescheiden im Hintergrund blieb. Die Menschen begegneten sich mit den Augen. Tschapa Kraushaar hatte sein abgemagertes dunkelhäutiges Gesicht mit Asche noch dunkler gefärbt.
    »Er ist tot.« Das waren die ersten Worte. Ohne Umschweife hatte er es gesagt. Die Frauen schwiegen, und Blitzwolke rührte sich nicht.
    »Wir wollten ihn befreien«, sprach der Krieger weiter, und es war dem jungen Dakotamädchen, als ob die Worte von fern und wie unwirklich zu ihrem Ohr dringen würden. Sie wollte sie nicht hören und mußte sie doch hören.
    »Unserem Häuptling Tokei-ihto war es gelungen, seine Kette zu lösen und bis zu der Kellerluke zu kommen. Ich hatte schon seine gefesselten Hände gefaßt, um ihm herauszuhelfen.« Der Biber hob die Hände, schloß und öffnete sie, als ob er noch einmal die Hände seines Häuptlings und Jugendgefährten fassen könne und wieder loslassen müsse.
    »Als Red Fox mich angriff, schickte er zugleich zwei Männer in den Keller, um auch Tokei-ihto ermorden zu lassen. Sie haben unseren Häuptling mit dem Kolben erschlagen. So sagte mir Thomas, der mit seinem Bruder Theo und dem blonden Adams noch in der gleichen Nacht entflohen ist.«
    Tschapa Kraushaar brach ab. Schließlich vollendete er leise: »Fünf unserer Krieger sind gefallen.«
    »Wo ist die Leiche des Sohnes meines Sohnes?« fragte Untschida. Ihre Stimme klang ruhig, aber Blitzwolke sah, wie die Augenlider und die Lippen der Häuptlingsmutter bei den Worten zuckten.
    »Thomas ließ mich wissen, daß die Langmesser Tokeiihtos Leiche verscharren wollten.«
    Während Tschapa Kraushaar diese Worte sprach, schlug er ein Tuch auseinander, das er mitgebracht hatte. Die Adlerfederkrone Tokei-ihtos kam zum Vorschein.
    »Das«, sagte der Krieger, »ist das einzige, was ich euch von Tokei-ihto bringen kann. Red Fox hatte die Adlerfedern geraubt, als unser Häuptling gefangengenommen wurde. Der Mörder und Verräter wollte die Adlerfederkrone an Jackman verkaufen, aber dieser zahlte nicht genug, und so behielt Red Fox seinen Raub. In der Verwirrung nach dem Kampf hat Tobias, der Delaware, die Adlerfedern bei der Habe des Red Fox gefunden und sie ihm weggenommen. Er gab sie Thomas, und dieser gab sie mir. Aber die Waffen Tokei-ihtos sind in den Händen des Fuchses oder Jackmans geblieben.«
    Uinonah nahm den Adlerfederschmuck und strich einmal behutsam über die langen schönen Federn.
    »Das sind die Federn eines Adlers, den mein Bruder gut kannte«, sagte sie, »und es ist der Schmuck, den er auf das Haupt nahm an dem Tag, als er zu unserem Kriegshäuptling gewählt wurde.«
    Sie stand auf, um die Adlerfederkrone zu verwahren. Aber sie vermochte ihr Vorhaben nicht auszuführen. Ihre Ruhe zerbrach plötzlich wie ein Baum bricht, dem der Sturm beharrlich und mit zerstörender Gewalt in das Geäst gegriffen hat. Ihre Glieder zuckten, die Adlerfederkrone entfiel ihren Händen. Sie stürzte zu Boden und schrie laut auf. Ihr Schrei war kaum mehr ein menschlicher Laut; langgezogen, wie das Aufheulen der Wölfe, klagte er durch das Zelt, und es war Blitzwolke, als ob bei diesem Ton auch in ihr selbst etwas zerreiße. Uinonah wälzte sich am Boden in Zuckungen,

Weitere Kostenlose Bücher