Der junge Häuptling
trieb dem Mann nachträglich noch den Schweiß auf Stirn und Schläfen. Die Tage waren schon kürzer und kälter, die Nächte länger und frostig. Wenn das Zeltdorf sich dem Beschluß der Ratsmänner gemäß auf Wanderschaft nach Norden begeben sollte, so mußte das gleich geschehen. Bereits am Tag nach der Beratung gaben der Alte Rabe und Tschetansapa mit Sonnenaufgang den Befehl aufzubrechen.
Vor dem Häuptlingszelt, dessen Lederplanen das Zeichen des Vierecks – der vier Weltenden – trugen, standen Untschida und Uinonah. Sie vernahmen den Befehl Tschetansapas. Uinonah löste als erste die Plane. Blitzwolke half ihr.
In kurzer Zeit waren alle Zelte abgeschlagen. Die Frauen und Mädchen hatten von Kind an jeden Handgriff geübt. Schweigend holten die Frauen die Mustangs, um ihnen die Rutschen anzuhängen. Die Zeltstangen wurden über den Rücken der Pferde gekreuzt; die Enden schleiften rechts und links. Zwischen den Stangen wurden Zeltplanen gespannt, in die die Frauen die Habe einluden und jene Kinder hineinsetzten, die nicht mehr von der Mutter in der Rückentrage mitgenommen wurden, aber zum Reiten noch nicht groß genug waren. Blitzwolke und ihre Freundin Eidechse, die Enkelin des Alten Raben, ritten Lastpferde. Blitzwolke hatte ihr Eichhörnchen vermißt. Aber als sie auf dem Pferd saß, huschte das Tier an der Rutschenstange hinauf auf den Pferderücken und von da auf die Schulter des Mädchens. Das schien so unwichtig, und doch war es für Blitzwolke eine große Freude.
Der Zug setzte sich nordwärts in Bewegung. Es war dieselbe Strecke, die das Zeltdorf vor dreizehn Sommern mit Mattotaupa, dem Vater Tokei-ihtos, an der Spitze südwärts gezogen war, um den Zeltplatz am Pferdebach zu erreichen. Blitzwolke wußte davon nur vom Hörensagen. Aber die Älteren erinnerten sich an jenes Frühjahr. Damals war Tokei-ihto noch ein Knabe mit Namen Harka gewesen und hatte ebenso viele Jahre gezählt wie jetzt Hapedah und Tschaske, die beiden Anführer der Jungen Hunde.
Es war kalt. Der Wind wehte steif. Die Lastpferde nickten mit den Köpfen, denn sie wurden hart angetrieben. Die Stangenenden holperten über den Grasboden. Den Kindern in den Rutschen fuhren die Pferdeschweife über das Gesicht, und sie mußten die Augen schützen.
Die Krieger hatten sich rechts und links des Zuges verteilt und ritten auf und ab. Hawandschita, der alte Zaubermann, ging mit langen Schritten an der Spitze, den Speer in der Hand. Hapedah und Tschaske ritten an der Seite des Zuges wie die Krieger.
Blitzwolke war wie alle anderen nur von dem Gedanken beseelt: Wir müssen die Scharen Tatanka-yotankas und Tashunka-witkos im Norden einholen, ehe die Langmesser uns abfassen.
Als die Wandernden sich am Abend des zweiten Tages eben niedergelassen und die Zelte aufgestellt hatten, sprengten jedoch schon die Späher auf abgehetzten Pferden heran und meldeten, daß ein großer Trupp von Dragonern und Rauhreitern sich nähere. Alle im Zuge hörten den schrillen Ton von Tschetansapas Kriegspfeife, mit dem er seine Männer zusammenrief. Mit ihren Waffen versehen, sammelten sich die Krieger bei ihrem Anführer und hielten in einer Linie auf der Ostseite des Lagers, um die Frauen und Kinder zu schützen. Sie schienen gut bewaffnet; jeder besaß ein Armeegewehr. Aber auch die Frauen und Kinder wußten, daß den Männern die Munition fehlte und nur Pfeil und Bogen als Schußwaffe gebraucht werden konnten. Nicht ganz dreißig Männer waren es, die vor den Lagernden zu Pferde wachten.
Die feindliche Truppe tauchte auf. Alle sahen die Reiter, die kamen. Hundertfünfzig Reiter trabten heran; sie führten Gewehre, und sicher hatten sie Munition genug. Auch Blitzwolke war es in diesem Augenblick klar, daß ein Kampf nur mit dem Tod oder der Unterwerfung enden konnte. Wären die Männer allein gewesen, sie hätten sich zerstreuen und die an Zahl überlegene Truppe aus geschickt gewählter Deckung angreifen, vielleicht sogar in Schrecken versetzen und zum Rückzug veranlassen können. Aber das Lager der Frauen und Kinder vermochten sie mit einer solchen Taktik nicht zu schützen. Sie mußten sich dem Feind stellen. Die feindliche Schar war rasch herangekommen, und schon waren die einzelnen Reiter nach Kleidung und Gestalt zu unterscheiden.
Die Truppe machte halt. Ein Reiter auf einer Fuchsstute, einem edlen Pferd, löste sich von der Schar ab und ritt, von der weißen Parlamentärsflagge geschützt, zu den Kriegern heran. Der Reiter trug einen großen
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