Der junge Häuptling
die nicht mehr von ihrem Willen abhängig waren. Sie schlug die Stirn auf den Boden, ihre Finger krallten sich in das eigene Fleisch. Der aufheulende Schrei ging in Worte über:
»Es ist nicht wahr! Es ist nicht wahr!«
Untschida war aufgestanden und ging wankend auf das Mädchen zu. Uinonah hatte sich mit einem Ruck aufgesetzt und stützte sich auf die Hände. Ihre Augen waren aufgerissen, entsetzensstarr, aber auch voll Glut, die durchbrechen wollte. Vielleicht war es ein Schimmer kommenden Wahnsinns. Untschida blieb stumm bei dem Mädchen stehen.
Uinonah kam auf die Füße. Sie griff wieder nach dem Adlerfederschmuck und verwahrte ihn, ohne Hast, aber mit einer seltsamen und nach dem Vorangegangenen erschreckenden Schnelligkeit und Geschicklichkeit. Darauf trat sie an die Feuerstelle heran. Tschapa hatte sich erhoben. Das Mädchen stand ihm gegenüber. Sie sah ihn an, er fuhr zusammen. Doch wich er dem Blick nicht aus.
Die Schwester des Häuptlings begann zu sprechen, ruhig, als ob sie mit einer fremden Stimme spräche.
»So habt ihr gehandelt, Krieger vom Stamme der Dakota- Oglala!« sagte sie. »Ihr habt meinen Bruder Tokei-ihto zum Kriegshäuptling gewählt, und ihr habt ihn beauftragt zu kämpfen und euch in den Kampf zu führen! Er kämpfte, und er führte euch gut. Als die Gefahr groß wurde und der Kampf mächtig zu werden versprach, habt ihr ihn fortgeschickt. Ihr habt ihn gezwungen, sehenden Auges in eine Falle zu gehen. Dem Mörder meines Vaters habt ihr meinen Bruder in die Hände geliefert. Ihr habt gewußt, was ihr tut. Ihr habt meinen Bruder geopfert, und er hat euch gehorcht und hat sich selbst geopfert, weil das Wort vom Sohn des Verräters ihm noch immer gefolgt war. Jetzt sagt ihr, Tokei-ihto sei tot, und ihr legt eure Hände in den Schoß, nicht an den Griff der Waffen. Aber ich glaube euch nicht, und ich sage euch, daß Tokei-ihto wiederkommen wird. Ich warte, bis mein Bruder selbst zu mir spricht, sei es tot oder lebendig.«
Tschapa hatte alle diese Worte schweigend angehört.
»Uinonah …«, murmelte er.
Blitzwolke begann zu bangen, daß ein Geist Uinonah gepackt habe. War es ein guter oder ein böser? Untschida berührte Tschapa leise an der Schulter. Der Krieger wandte das Gesicht der Mutter Mattotaupas zu.
»Tschapa – hat dieser Thomas meinen Sohn Tokei-ihto tot gesehen?«
»Thomas war nach dem Kampf im Keller und sah unseren Häuptling in seinem Blut liegen«, antwortete Tschapa sehr leise, und Blitzwolke war voll steigender Angst um Uinonah, die, stumm geworden, mit gläsernen Augen dastand und hörte.
Untschida ließ die Hand sinken und senkte die Lider.
»Es ist nicht deine Schuld, Tschapa.«
Draußen erschollen die Totenklagen um die fünf Krieger, die mit Tschapa ausgezogen und nicht mehr zurückgekehrt waren.
Untschida ging vor das Zelt, um die Totenklage für Tokei-ihto, den Sohn ihres Sohnes, anzustimmen. Tschapa suchte noch einmal Uinonahs Blick, aber es war ganz vergeblich, und so schlich er sich hinaus. Er hockte sich vor den Zelteingang zu Untschida, und mit lauter, kräftiger, wilder Stimme sang er alte Worte, die seine eigene Mutter in der fernen Heimat Afrika gelernt hatte, ehe die weißen Männer sie gepackt und als Sklavin über das große Wasser geschleppt hatten. Blitzwolke kannte das Lied.
Auch Uinonah ging aus dem Zelt hinaus, und Blitzwolke folgte ihr wie ein Schatten. Die Häuptlingsschwester ging an Untschida und an Tschapa vorüber und lief hinaus aus dem Zeltdorf auf jenen Hügel, auf dem sie Tag für Tag auf die Rückkehr ihres Bruders gewartet hatte. Dort begann sie leise zu singen, wie sie jeden Morgen gesungen hatte. In ihren Gedanken waren Wirrnis und Sturm, und sie wollte nicht nachlassen, bis Tokei-ihto zu ihr kam und zu ihr sprach, lebendig – oder tot, im Traum.
Die verbrannte Erde, der immer noch qualmende sterbende Wald und die Totenklage der Menschen gaben diesem Tag und der Nacht Gesicht und Stimme. Es waren die Stunden, in denen Blitzwolke von ihrer Kindheit endgültig Abschied nahm.
In den folgenden Tagen hörte Blitzwolke von den jugendlichen Spähern und erfuhr auch durch die Gespräche in den Zelten, daß neue Scharen der Langmesser in die Prärie der Dakota eindrangen. Sie traf Tschaske Breitbeinig, Hapedahs Freund und Mitanführer der Jungen Hunde. Er war ein Gespiele Blitzwolkes in der frühen Kinderzeit gewesen; sie hatten Büffel aus Lehm miteinander geformt und miteinander sowie mit Hapedah und Blitzwolkes Freundin
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