Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)
herausnahm und sie auf den Tisch klopfte, bevor er sie anzündete.
»Als ich ein Kind war«, sagte Vater, »gab es gewisse Dinge, die ich nicht tun wollte, aber wenn mein Vater gesagt hat, dass es für alle besser wäre, wenn ich sie tun würde, habe ich mein Bestes versucht und mich damit abgefunden.«
»Was für Dinge?«, fragte Bruno.
»Ach, ich weiß nicht«, sagte Vater und zuckte die Schultern. »Letztendlich ist das auch nicht wichtig. Ich war nur ein Kind und wusste nicht, was das Beste war. Manchmal wollte ich zum Beispiel nicht zu Hause bleiben und meine Schulaufgaben fertigmachen; ich wollte raus auf die Straße und mit meinen Freunden spielen, genau wie du. Wenn ich aber jetzt zurückblicke, sehe ich ein, wie dumm ich war.«
»Dann weißt du ja, wie es mir geht«, sagte Bruno zuversichtlich.
»Ja, aber ich wusste auch, dass mein Vater, dein Großvater, genau wusste, was das Beste für mich war, und dass ich immer am glücklichsten war, wenn ich das einfach akzeptiert habe. Meinst du, mein Leben wäre so erfolgreich, wenn ich nicht gelernt hätte, wann ich streiten oder wann ich den Mund halten und Befehlen gehorchen soll? Na, Bruno? Was meinst du?«
Bruno sah sich um. Sein Blick landete auf dem Fenster in der Zimmerecke, und er konnte die hässliche Landschaft draußen sehen.
»Hast du einen Fehler gemacht?«, fragte er nach einer Weile. »Einen Fehler, über den sich der Furor geärgert hat?«
»Ich?«, sagte Vater und sah ihn überrascht an. »Was meinst du damit?«
»Hast du bei deiner Arbeit etwas Schlimmes gemacht? Ich weiß, dass alle sagen, du bist ein wichtiger Mann und der Furor hat Großes mit dir vor, aber er hätte dich wohl kaum an so einen Ort geschickt, wenn du nicht etwas getan hättest, wofür er dich bestrafen will.«
Vater lachte, und das regte Bruno noch mehr auf; nichts ärgerte ihn mehr als Erwachsene, die ihn auslachten, weil er etwas nicht wusste, besonders wenn er versuchte, durch Fragenstellen die Antwort herauszufinden.
»Du verstehst nicht, wie wichtig so eine Position ist«, sagte Vater.
»Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass du deine Arbeit sehr gut gemacht hast, wenn wir von einem sehr schönen Haus und unseren Freunden wegziehen und an einen schrecklichen Ort wie diesen kommen müssen. Ich glaube, du hast etwas falsch gemacht, deshalb solltest du dich beim Furor entschuldigen, vielleicht erledigt sich dann alles von selbst. Vielleicht verzeiht er dir, wenn es dir ernst ist.«
Die Worte waren draußen, noch ehe er richtig überlegen konnte, ob sie vernünftig waren oder nicht; sobald sie in der Luft schwebten, fand er sie für Vater ganz und gar unpassend, aber zu spät, sie waren ausgesprochen und konnten nicht mehr rückgängig gemacht werden. Bruno schluckte nervös und sah nach kurzem Schweigen wieder zu Vater, der ihn mit steinerner Miene anstarrte. Bruno leckte sich die Lippen und schaute zur Seite. Es war bestimmt nicht ratsam, Vaters Blick standzuhalten.
Nach ein paar stillen, unangenehmen Minuten erhob sich Vater langsam aus dem Sessel, ging wieder hinter den Schreibtisch und legte seine Zigarette auf einen Aschenbecher.
»Ich frage mich, ob du sehr mutig bist«, sagte er nach einer Weile, als überdenke er die Angelegenheit, »oder einfach nur respektlos. Vielleicht ist es ja gar nicht so schlimm.«
»Ich wollte nicht ...«
»Aber jetzt bist du still«, sagte Vater laut und fiel ihm ins Wort, denn für ihn galten die Regeln des normalen Familienlebens nicht. »Bis jetzt habe ich große Rücksicht auf deine Gefühle genommen, Bruno, weil ich weiß, dass der Umzug nicht einfach für dich ist. Ich habe mir angehört, was du zu sagen hast, auch wenn deine Jugend und Unerfahrenheit dich zwingen, manches auf eine freche Art zu formulieren. Du hast gemerkt, dass ich auf nichts davon reagiert habe. Aber jetzt ist der Moment gekommen, an dem du schlicht akzeptieren musst, dass ...«
»Ich will es nicht akzeptieren!«, schrie Bruno und blinzelte erstaunt, weil er nicht damit gerechnet hatte, dass er laut werden würde. (Genau genommen überraschte es ihn sogar selbst.) Er spannte sich leicht an und machte sich darauf gefasst, notfalls davonzurennen. Aber heute schien Vater nichts zu ärgern – und wenn Bruno ehrlich mit sich war, musste er zugeben, dass Vater nur selten ärgerlich wurde; meistens wurde er nur still und kühl und bekam am Ende immer seinen Willen. Statt ihn jetzt anzuschreien oder ihn durchs Haus zu jagen, schüttelte er lediglich den
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