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Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)

Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)

Titel: Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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einer von ihnen an ihm vergriffen hatte. Er hätte seinem Freund gern geholfen, aber er wusste nicht wie und merkte genau, dass Schmuel die Sache am liebsten vergessen wollte.
    Jeden Tag fragte Bruno, ob er unter dem Zaun durchkriechen dürfe, damit sie auf der anderen Seite zusammen spielen könnten, und jeden Tag erwiderte Schmuel nein, das sei keine gute Idee.
    »Ich verstehe nicht, warum du so versessen darauf bist, hier herüberzukommen«, sagte Schmuel. »Es ist nicht sehr schön.«
    »Du solltest mal in unserem Haus wohnen«, sagte Bruno. »Erstens hat es keine fünf Stockwerke, sondern nur drei. Wie soll man auf so engem Raum leben?« Er hatte Schmuels Geschichte von den elf Menschen vergessen, die alle in einem Raum wohnten, bevor sie nach Aus-Wisch gekommen waren, und auch den Jungen Luka, der ihn immer schlug, obwohl er gar nichts gemacht hatte.
    Eines Tages fragte Bruno, warum Schmuel und alle anderen jenseits des Zauns die gleichen gestreiften Anzüge und Stoffmützen trugen.
    »Die haben sie uns gegeben, als wir herkamen«, erklärte Schmuel. »Unsere eigenen Sachen haben sie uns weggenommen.«
    »Aber wachst du nicht manchmal morgens auf und möchtest gern was anderes anziehen? In deinem Schrank muss doch noch mehr sein.«
    Schmuel blinzelte und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, überlegte es sich aber anders.
    »Eigentlich mag ich keine Streifen«, sagte Bruno, obwohl es gar nicht stimmte. Im Gegenteil, ihm gefielen Streifen, und er hatte es zunehmend satt, dass er Hosen, Hemden, Krawatten und Schuhe tragen musste, die ihm zu klein waren, während Schmuel und seine Freunde den ganzen Tag lang gestreifte Pyjamas tragen durften.
    Ein paar Tage später wachte Bruno auf, und zum ersten Mal seit Wochen regnete es heftig. Irgendwann nachts hatte es angefangen, und Bruno meinte sogar, vom Regen wach geworden zu sein, aber er wusste es nicht genau, denn wenn man erst einmal wach war, konnte man den Grund dafür nicht mehr feststellen. Als er an jenem Morgen frühstückte, regnete es weiter. Den ganzen Vormittag im Unterricht bei Herrn Liszt regnete es weiter. Beim Mittagessen regnete es weiter. Und als sie nachmittags eine weitere Geschichts- und Erdkundestunde beendeten, regnete es immer noch. Das war schlecht, denn das hieß, er konnte das Haus nicht verlassen und Schmuel treffen.
    An jenem Nachmittag lag Bruno mit einem Buch auf seinem Bett und es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren, da platzte der hoffnungslose Fall herein und wollte ihn besuchen. Sie kam nicht oft in Brunos Zimmer, weil sie in ihrer Freizeit lieber ihre Puppensammlung ordnete und umgruppierte. Doch das Regenwetter hatte ihr irgendwie die Lust am Spiel verleidet und sie wollte sich mit etwas anderem beschäftigen.
    »Was willst du?«, fragte Bruno.
    »Das ist ja eine nette Begrüßung«, entgegnete Gretel.
    »Ich lese«, sagte Bruno.
    »Was liest du denn?«, wollte sie wissen, doch statt einer Antwort hielt er ihr nur den Umschlag hin, damit sie es sehen konnte.
    Sie gab ein verächtliches Zischen von sich, und ein bisschen von ihrer Spucke landete in Brunos Gesicht. »Langweilig«, sagte sie mit monotoner Stimme.
    »Überhaupt nicht langweilig«, sagte Bruno. »Das ist eine Abenteuergeschichte. Besser als Puppen, so viel steht fest.«
    Gretel sprang nicht darauf an. »Was machst du da?«, wiederholte sie, was Bruno noch mehr ärgerte.
    »Ich hab's dir doch gesagt, ich versuche zu lesen«, erwiderte er grantig. »Wenn ein gewisser Jemand mich vielleicht lassen würde.«
    »Ich weiß nicht, was ich machen soll«, sagte sie. »Ich hasse den Regen.«
    Bruno fiel es schwer, das zu verstehen. Nicht dass sie sonst viel gemacht hätte, im Gegensatz zu ihm, der Abenteuer erlebte und Orte erforschte und einen Freund gefunden hatte. Überhaupt ging sie nur ganz selten aus dem Haus. Es war, als hätte sie beschlossen, sich zu langweilen, weil ihr jetzt schlicht nichts anderes übrig blieb, als im Haus zu bleiben. Trotzdem gab es Momente, in denen Geschwister ihre Folterinstrumente vorübergehend beiseitelegen und wie zivilisierte Menschen miteinander reden können, und Bruno beschloss, dass dies ein solcher Moment werden sollte.
    »Ich kann den Regen auch nicht leiden«, sagte er. »Eigentlich sollte ich jetzt bei Schmuel sein. Er wird denken, ich habe ihn vergessen.«
    Die Worte waren ihm schneller herausgerutscht, als er sie aufhalten konnte. Er spürte ein Stechen im Bauch und war wütend auf sich selbst, weil er das gesagt hatte.
    »Du

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