Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)
Tasche zu verstecken. Doch es war ein langer Weg vom Haus zu der Stelle im Zaun, wo die beiden Jungen sich trafen, und unterwegs bekam Bruno manchmal Hunger und merkte, wie ein Bissen von dem Kuchen zum nächsten führte, der dann wiederum zu einem weiteren führte, bis nur noch ein kleiner Rest übrig war, den er Schmuel nicht anbieten mochte, weil das seinen Hunger nur angestachelt und nicht gestillt hätte.
Vaters Geburtstag stand kurz bevor, und obwohl er kein Aufhebens darum machen wollte, organisierte Mutter eine Feier für alle Offiziere, die in Aus-Wisch dienten, und veranstaltete einen Riesenwirbel bei den Vorbereitungen. Sobald sie sich hinsetzte und neue Pläne für das Fest schmiedete, stand Oberleutnant Kotler ihr hilfreich zur Seite, und sie schienen mehr Listen aufzustellen, als jemals gebraucht werden konnten.
Bruno beschloss, eine eigene Liste aufzustellen. Eine Liste, die alle Punkte aufzählte, warum er Oberleutnant Kotler nicht leiden konnte.
Da war einmal die Tatsache, dass er nie lachte und immer aussah, als suchte er jemanden, den er aus seinem Testament streichen könnte.
Bei den seltenen Gelegenheiten, wenn er mit Bruno redete, sagte er zu ihm kleiner Mann , was einfach nur fies war, denn Mutter betonte immer, er hätte eben noch keinen richtigen Wachstumsschub gehabt.
Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass er mit Mutter oft im Wohnzimmer war und Scherze mit ihr machte, über die sie lauter lachte als über die von Vater.
Als Bruno einmal das Lager von seinem Zimmerfenster aus beobachtete, sah er einen Hund, der sich dem Zaun näherte und dann laut bellte, und als Oberleutnant Kotler ihn hörte, marschiert er geradewegs auf den Hund zu und erschoss ihn. Dazu kam noch der ganze Unsinn, den Gretel absonderte, wenn er in der Nähe war.
Außerdem hatte Bruno auch nicht den Abend mit Pavel vergessen, dem Kellner, der eigentlich Arzt war, und wie wütend der junge Oberleutnant auf ihn gewesen war.
Und immer, wenn Vater nach Berlin gerufen wurde und dort übernachten musste, hing Kotler im Haus herum, als führte er das Kommando: Er war da, wenn Bruno ins Bett ging, und morgens schon wieder im Haus, bevor Bruno aufwachte.
Es gab noch viele andere Gründe, warum Bruno Oberleutnant Kotler nicht leiden konnte, aber diese Punkte fielen ihm zuerst ein.
Am Nachmittag vor der Geburtstagsfeier war Bruno in seinem Zimmer und die Tür stand offen, als er Oberleutnant Kotler ins Haus kommen und mit jemandem reden hörte, obwohl niemand etwas erwiderte. Als er ein paar Minuten später nach unten ging, hörte er, wie Mutter Anweisungen gab, was noch erledigt werden musste, worauf Oberleutnant Kotler sagte: »Keine Sorge, ich weiß schon, was Sache ist«, und dann lachte er unverschämt.
Bruno war mit einem neuen Buch namens Die Schatzinsel , das ihm Vater geschenkt hatte, auf dem Weg ins Wohnzimmer und wollte dort ein oder zwei Stunden lesen, doch im Flur traf er Oberleutnant Kotler, der gerade aus der Küche kam.
»Hallo, kleiner Mann«, sagte er und sah ihn wie immer verächtlich an.
»Hallo«, sagte Bruno missgelaunt.
»Was hast du denn vor?«
Bruno starrte ihn an und überlegte sich schon sieben weitere Gründe, warum er ihn nicht ausstehen konnte. »Ich will da rein und mein Buch lesen«, sagte er und zeigte zum Wohnzimmer.
Wortlos riss Kotler Bruno das Buch aus den Händen und blätterte es durch. »Die Schatzinsel« , sagte er. »Wovon handelt das denn?«
»Na ja, von einer Insel«, sagte Bruno langsam, um sicherzugehen, dass der Soldat ihm folgen konnte. »Und auf der ist ein Schatz.«
»Das hätte ich mir denken können«, sagte Kotler und sah ihn an, als gäbe es einiges, was er mit ihm anstellen würde, wenn Bruno sein Sohn wäre und nicht der des Kommandanten. »Erzähl mir lieber, was ich nicht weiß.«
»Ein Pirat kommt noch vor«, sagte Bruno. »Er heißt Long John Silver. Und ein Junge namens Jim Hawkins.«
»Ein englischer Junge?«, fragte Kotler.
»Ja«, entgegnete Bruno.
» Grunz «, grunzte Kotler.
Bruno starrte ihn an und überlegte, wann ihm Kotler wohl endlich das Buch zurückgeben würde. Es schien ihn nicht besonders zu interessieren, doch als Bruno danach griff, zog er es weg.
»Tut mir leid«, sagte er, hielt es ihm wieder hin, und als Bruno danach griff, zog er es zum zweiten Mal weg. »Ach, tut mir wirklich leid«, wiederholte er und hielt es ihm wieder hin, und diesmal war Bruno schneller und riss es ihm aus der Hand.
»Bist du aber schnell«, nuschelte
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