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Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Titel: Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Brown
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ein knappes, seemännisches: »Jetzt ist aber mal gut!« – die Jahre meines Vaters als Fregattenkapitän bei der Royal Navy erweisen sich doch noch einmal als nützlich. Oft funktioniert das. Der Großvater und sein Enkelsohn sitzen zufrieden da und warten. Vielleicht warten sie sogar auf dasselbe – nur was ist es? Das ist die Art von Gedanke, die einem kommt, wenn man sie so sieht. Dieser Mann, der ich wurde, der Walker wurde. Dieses Stolpern, dieser Zögern, diese Unentschlossenheit – des alten Mannes, des Jungen und meine.
    Mein Vater ist kein gefühlsbetonter Mensch: 1918 wurde er im Alter von vier Jahren auf ein Internat geschickt. Sein Lieblingsbruder Harold starb auf einem Kriegsschiff, ein anderer Bruder ging von zu Hause weg, ließ nie wieder etwas von sich hören, über ihn wird auch nie gesprochen. Aber Walker macht ihn weich. Je älter mein Vater wird, desto wahrer ist das. Er erkennt den gebrochenen Jungen und beginnt zu verstehen, dass Kraft und Macht nicht all das sind, was er immer geglaubt hatte, das sie sein würden.
    Und jetzt treffe ich Vorbereitungen, seinen Enkel in ein Heim zu verlegen.
    Mitte April 2004
    Wieder ein Treffen in Surrey Place, der Einrichtung in Toronto, die sich auf Autismus spezialisiert hat und wo ein Verhaltenstherapeut mit Walker arbeitet.
    Diese Sitzungen verlaufen immer gleich: Spielzimmer, Teppich drinnen und draußen, pastellfarbene Wände, ein halbes Dutzend kompetenter Frauen mit Klemmbrettern, alle in Jeanshängern oder weiten stone-washed Jeans mit Elastikbund – gut, wenn man mit Kindern zu tun hat, die auf dem Boden herumkriechen und sabbern.
    Bei der Sitzung heute geht es darum, dass Walker sich den Kopf schlägt oder stößt. Es gibt immer neue Ausdrücke, die man dabei lernen kann.
    »Dann ist das also intrinsisch?«
    »Er ist intrinsisch motiviert. Offenbar zieht er irgendeinen Gewinn daraus.«
    »Seine Motorik ist nicht fein genug für Zeichensprache.«
    »Zeigen ist vielleicht für jemand mit solchen Schwächen besser.«
    Damit Walker Kommunizieren durch Zeigen lernt, braucht er zehn Sitzungen mit »Zeigen-Lehre«. Es ist eine neue »Umsetzung«, die eine neue »Aufnahme« erfordert und daher auch neue Formulare.
    Eine der Therapeutinnen sagt mir, dass sie die Hälfte ihrer Zeit damit verbringt, mit der Bürokratie der Reha-Welt zu verhandeln. Aber ohne diese Frauen, die das Dunkel erhellen, hätte ich längst schon aufgegeben.
    Die Verhaltenstherapeutin verbreitet keinen Optimismus. »Normalerweise bringt man ein Kind, das sich selbst schlägt«, sagt sie, »davon ab, indem man ihm Essen und Spielzeug anbietet. Aber Walker interessiert beides nicht.«
    Wieder zu Hause ist Johanna völlig aufgewühlt. »In dem Moment habe ich gedacht, oh Mann, die verstehen wirklich gar nichts. Niemand hat uns bislang geholfen, weil es niemand kann.«
    28. April 2004
    Sechs Monate sind vergangen. Unsere Anwältin Margie stellt uns Lisa Benrubi und Minda Latowsky vor, Herz und Niere von Walkers neuem Team, das sich um seine Versorgung kümmert. Margie arbeitet seit sechs Monaten an Walkers Fall. Lisa ist der Boss.
    Die drei sind zu uns nach Hause gekommen, haben in unserem Wohnzimmer Platz genommen und sich Walkers Geschichte angehört. Wir wissen, wie wir sie erzählen müssen. Anders als die Ärzte stellen Lisa, Minda und Margie tatsächlich Blickkontakt her. Sie scheinen uns auch zuzuhören. »Wie haben Sie das nur zehn Jahre lang geschafft?«, fragt Minda – ziemlich ehrlich, wie es scheint. Johanna weint, und zwar mehr oder weniger vom Anfang bis zum Schluss. Auch ich muss aufschluchzen, mir die Nase putzen. Später entschuldige ich mich bei Margie. »Nein«, sagt sie, »es ist gut, dass Sie geweint haben.«
    Minda wird unsere Sachbearbeiterin sein. Bis dieses Programm in Ontario eingeführt wurde, musste ein entwicklungsverzögertes Kind unter staatliche Vormundschaft gestellt werden – die Eltern mussten es per Gesetz der Children’s Aid Society überlassen – damit es in eine Wohngruppe ziehen konnte. Aber bei diesem neuen Programm werden wir weiterhin Walkers Eltern sein dürfen – eine Erleichterung und gleichzeitig Voraussetzung für uns. Dass es vielleicht anders hätte sein können, wühlt mich völlig auf, macht mir die dunkle Größe dessen klar, was wir da tun. Wir werden alle Entscheidungen treffen, aber die Fürsorge wird verteilt. Minda, meine neue Göttin, weigert sich, eine mögliche neue Wohngruppe »Walkers Heim« zu nennen. Sie sagt: »Es

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