Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Titel: Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Brown
Vom Netzwerk:
Sprachgebrauch der Sonderpädagogik – und passt nicht zu der Politik der Provinz, die (viel billigere) »inklusive« Schulen unterstützt, in denen theoretisch Behinderte mit Nichtbehinderten zusammen lernen und sich jeder an den anderen gewöhnt. Inklusive Schulen sind oft großartig und werden von einer bestimmten Generation und politischen Fraktion von Pädagogen bevorzugt. Aber selbst diese Pädagogen würden zustimmen, dass diese Schulform nicht für jedes Kind geeignet ist und dass spezielle Schulen für Kinder, die so entwicklungsgehemmt sind wie Walker, hilfreicher sind.
    Aber die Provinzregierung ist aus noch viel umfassenderen Gründen gegen die Beverley School: Die Schule entspricht nicht den heiligen Gesetzen der Quadratmeter-Regeln des Bildungsministeriums. Um Einschnitte im Bildungsbudget der Provinzregierung zu rechtfertigen, hat das Bildungsministerium beschlossen, dass Schulen eine bestimmte Anzahl von Schülern pro Quadratmeter ausbilden müssen. Das gestattet es der konservativen Regierung, neue, »effizientere« Schulen in den Vororten zu bauen, wo sie ihre politische Basis hat, und Schulen in den innerstädtischen Zentren zu schließen, wo häufig diese irritierenden fortschrittlichen Kräfte wohnen. Beverley entspricht nicht der Quadratmeterregel, weil behinderte Schüler mehr Raum brauchen, für ihre Rollstühle und Schaummatten, Ventilatoren und Lichträume, Infusionsständer und Wagen, und deshalb ist geplant, diese Schule zu schließen. Der öffentliche Zorn zwingt die Regierung schließlich, die Schule weitermachen zu lassen, aber die Prioritäten der Regierung sind damit klar: Die Behinderten gehen nicht wählen, und deshalb braucht man ihnen auch keine besonders intensive, persönliche Beachtung zu schenken. Sie passen nicht in ihr Schema – in gar kein Schema.
    Wir flicken dennoch irgendwie zusammen, was Walker braucht. Mit Hilfe von Olga, uns selbst, der Pflegehilfe, der Studentinnen, von irgendwelchen zufällig entdeckten Programmen, irgendeiner Agentur, der Schule, und mit Glück gelingt es uns, zehn Jahre zu überstehen. Die Abläufe werden vertrauter, aber der Stress lässt fast nie nach. Wir können kein Geld sparen, wir können keine echten Pläne machen, wir können nicht weiter reisen, als das Auto oder der Kinderwagen uns gestatten (nun, wo Walker größer geworden ist, sind Flugzeuge riskanter geworden) und nirgendwohin, wo nicht ein gutes Krankenhaus in unmittelbarer Nähe ist. Wir versuchen zu leben, als wäre alles ganz normal. Aber die immer gleiche tägliche Routine ist so erdrückend wie die Schlafposition quälend ist, in der ich mit Walker schlafen muss. Und die Zukunft erscheint uns düster und dürftig. Das Geld, das wir für Olga ausgeben, die 12 000 Dollar, die jährlich allein für die Sondennahrung anfallen, das Geld für die Windeln – das könnten wir eigentlich alles für Hayleys Studium zurücklegen. Sie sagt tapfer, sie würde stattdessen versuchen, ein Stipendium zu ergattern, aber sie ist jetzt schon ein ängstliches Kind, das Resultat eines Lebens in einem Haus, wo immer gerade irgendetwas aus dem Ruder laufen kann. Ich träume unaufhörlich von Geld, davon, meine Habseligkeiten verlegt zu haben, davon verfolgt und niedergeschossen zu werden.
    Und dann sieht man plötzlich einen Ausschnitt des Himmels in der bewölkten Zukunft. Im Herbst 2003 werden wir zum Thanksgiving-Wochenende eingeladen, ins Häuschen unserer Freunde John und Cathrin. Unsere guten Bekannten Allan Kling und Tecca Crosby und ein anderes Paar, Laurie Huggins und Colin McKenzie, alte Weggefährten, sind ebenfalls eingeladen. Wir können allerdings kaum mit ihnen reden, weil Walker in einem schrecklichen Zustand ist. Er hört überhaupt nicht auf zu weinen oder sich selbst zu schlagen, braucht ohne Pause die ganze Aufmerksamkeit von nicht einem, sondern zwei (und manchmal sogar vier oder fünf) Leuten, drei volle kanadische Herbsttage in Folge.
    Zwei Wochen später, nach intensiver Vorarbeit von Tecca und Cathrin, ruft Laurie mich an – mich, nicht Johanna. Laurie weiß, wo sie das kältere, empfänglichere Herz findet. »Da gibt es jemand, den du treffen solltest. Eine Frau, die sich bei Surrey Place engagiert«, sagt sie und bezieht sich auf eine Einrichtung, die sich auf das Studium und die Behandlung von Autismus spezialisiert hat. »Ich glaube, sie könnte euch vielleicht helfen. Weil ihr das einfach braucht.« In Lauries unbestechlichen Augen ist unser Leben – unseres und

Weitere Kostenlose Bücher