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Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Titel: Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Brown
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wird auch Ihr Heim sein.«
    Das wahre Problem ist strukturell. Bis vor Kurzem wollte niemand – zumindest niemand in den entsprechenden staatlichen Institutionen – zugeben, dass ein Kind geliebt werden und doch zu schwierig sein konnte, als dass seine oder ihre Eltern es versorgen könnten. Weil bis vor zwanzig Jahren Kinder mit dieser komplizierten medizinischen Diagnose nicht existierten. Sie überlebten einfach nicht. Die neue High-Tech-Medizin hat eine neue Art menschlicher Wesen ermöglicht, die übermenschlicher Fürsorge bedürfen. Die Gesellschaft muss diese neue Realität erst noch akzeptieren, besonders auf praktischer Ebene.
    Und Walker ist ein besonders bedürftiges Exemplar dieser neuen menschlichen Art. Es gibt besonders gut ausgestattete Wohnheime, aber üblicherweise haben sie nur 10 bis 12 Betten. Bei Kosten von 250 Dollar pro Tag – 24-Stunden-Pflege, Unterbringung, Essen, Transport – ist die Finanzierung begrenzt und abhängig vom Grad der Bedürftigkeit. Alle die Apparate und Geräte sind sündhaft teuer: Tumble Forms-Fütterstuhl, 729 Dollar, BreezeLite-Helm, 129 Dollar, Gitterbett (zur Sicherheit), 10 000 Dollar. Wir brauchten beinahe drei Jahre, um das Geld für das Bett aufzutreiben, das wir zu Hause für Walker haben, und am Ende gelang uns das nur mit Margies Hilfe. Inzwischen kann ich in zwanzig Minuten auf eine Hypothek von 500 000 Dollar kommen. »Was ich wirklich gut fände«, sagte Johanna, nachdem sie gegangen waren, »wäre, wenn sie uns das Geld geben würden, sodass wir die gesamte 24-Stunden-Versorgung haben könnten, die er braucht, aber hier zu Hause.«
    Ich bin nicht ihrer Meinung. Ich bin nicht sicher, dass ein Miniaturkrankenhaus in unserem Heim eine Verbesserung wäre.
    Aber Johanna behauptet, dass sie eine Walker-Erleuchtung hatte. »Manchmal ist es nicht eine Wahl zwischen richtig oder falsch«, sagt sie. »Manchmal ist es eine Wahl zwischen einem Übel und dem etwas kleineren Übel. Das war wie eine Erleuchtung für mich – dass manche Dinge einfach nicht gut gemacht werden können.«
    Vielleicht überlegt sie es sich noch.
    Was geschah mit unserer Ehe? An vielen Tagen fühlte sie sich an wie ein Mann mit einer schleichenden Krankheit, von der er gar nichts weiß, wobei er immer schwächer und dünner wird, aber trotzdem jeden Tag zur Arbeit geht.
    »Mit unserer ganzen Fürsorge für Walker fordern wir so viel voneinander«, sagte Johanna eines Morgens beim Versuch, mir unsere schlechte Stimmung, die wir füreinander hegten, zu erklären, »dass, wenn es darum geht, sich mal um uns selbst zu kümmern, nichts mehr von uns da ist.«
    Schätzungen über die Zahl von Ehen, die an der Fürsorge für ein behindertes Kind scheitern, reichen von sechzig bis zu achtzig Prozent. Diejenigen, die trotz alledem halten, sind einer anderen Studie zufolge den Herausforderungen umso mehr gewachsen. Ich habe keine Ahnung, ob diese Untersuchungen irgendeine Bedeutung haben. In unserem Fall hatte sich ein permanenter Groll wie eine feine Staubschicht über alles gelegt. Aber die Vorstellung, einander zu verlassen, war undenkbar: Es war völlig unmöglich, für Walker zu sorgen, wenn wir es nicht gemeinsam taten.
    Mit unseren getrennten Nächten waren wir Mitbewohner in einer Wohngemeinschaft ebenso sehr wie Mann und Frau. Ich sah Johanna im Haus am Morgen, wie sie Windeln und Ernährungsbeutel trug und aus der Tür eilte, um zu Verabredungen, Terminen zu kommen, in den Armen der schlafende Junge, und dann wieder abends, wenn sie ihn auf ihrem Knie hüpfen ließ oder von Hayleys Hausaufgaben fernhielt, ihm seinen Milchersatz in die PEG -Sonde spritzte oder (in den köstlichen Momenten, wenn er schlief) sich auf dem Kiefernholztisch in der Küche ausbreitete, neben sich ihren Becher Tee, und etwas Zeit für sich mit der Zeitung herausschlug (was mich natürlich erbitterte, weil ich keine Zeit für die Zeitung gehabt hatte, genauso, wie sie es ärgerte, wenn unsere Rollen vertauscht waren). Ihr Tee: Ich dachte viel darüber nach, wenn wir zu erschöpft waren, um miteinander zu reden, wie sie ihren Becher im Verlauf des Tages immer wieder neu anwärmte, ihn immer neben sich stehen hatte, wie ein Balsam oder eine Energiespritze, die ihr neue Kraft gaben. Ich wurde zu einem Kenner ihrer Morgenmäntel: Da war der lange Kimono, den ich ihr auf einem Kunsthandwerksmarkt gekauft hatte, der türkise japanische Sweeper, der kleine seidene im Sommer, der schwarze Allzweck-Baumwoll-Morgenmantel, den

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