Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)
gelesen und stand auf, um abzuwaschen. Johanna machte einen Maissalat. »Was hältst du von so einem Test?«, sagte ich.
Sie nahm sich Zeit, bevor sie antwortete: »Wenn es, als ich schwanger war, einen Test gegeben hätte, der klar gemacht hätte, wie Walkers Leben aussehen würde, hätte ich eine Abtreibung vorgenommen.«
Ich sagte nichts. Ich hatte schon früher am Morgen einen Schokoladenkuchen gebacken und versuchte nun, die hart gewordene Schokolade von den Rührbesen abzukratzen, die ich benutzt hatte.
»Wir waren jung, ich wurde sofort schwanger«, fuhr sie fort. »alles sprach dafür, ein weiteres, normales Kind zu bekommen.« Ein normales Geschwister für Hayley, ein Verbündeter gegen uns, wenn unsere Tochter einen gebraucht hätte.
»Aber dann würdest du Walker nicht haben«, sagte ich.
Johanna begann, schneller in der Küche herumzugehen. Sie versuchte, Zeit zu gewinnen, das war offensichtlich. Schließlich erwiderte sie: »Du kannst doch nicht sagen, nachdem ich nun Walker kenne, hätte ich etwas getan, um ihn loszuwerden? Es ist eine Sache, einen anonymen Fötus abzutreiben. Es ist etwas anderes, Walker umzubringen. Ein Fötus wäre doch nicht Walker.«
»Was glaubst du, wie die Welt ohne Menschen wie Walker wäre – ohne Kinder wie ihn, meine ich, Kinder, die wirklich Rückschläge erleiden?« Das ist keineswegs eine so unwahrscheinliche Möglichkeit, wenn man die Reichweite pränataler Tests bedenkt.
»Eine Welt, in der es nur Weltherrscher gäbe, wäre wie Sparta. Es wäre kein menschliches Land. Es wäre ein grausamer Ort.«
»Dann hat er dir also etwas beigebracht.«
»Durch ihn habe ich begriffen, wie gut wir es haben, die meisten von uns, die meiste Zeit – dass wir glauben, wir hätten Probleme, aber verglichen mit ihm haben wir die gar nicht.«
Mehr Schrubben und Hacken. »Aber ich bin nicht die Person, die man fragen sollte«, sagte sie. »Ich glaube nicht, dass ich ein besonders guter Mensch bin.«
»Was meinst du damit? Du bist eine absolut wunderbare Person.«
»Ich käme nicht damit zurecht, immer mit ihm zusammen zu sein. Ich habe immer noch gemischte Gefühle über alles, was ich getan, und alles, was ich nicht getan habe.«
Sie ist schließlich seine Mutter, aber sie hat ihn nicht gerettet. Sie war auch keine der Rund-um-die-Uhr-Behinderten-Mütter geworden, die nie aufhörten zu recherchieren und ihr behindertes Kind zu verteidigen. Hatte sie eine größere Verpflichtung, mit einem behinderten Kind zu Hause zu bleiben, als eine Frau, die zu Hause blieb, eine Verpflichtung hatte, zu arbeiten und Teil der »normalen« Gesellschaft zu sein? Ich glaubte das nicht. Johanna war eine großartige Mutter gewesen, hatte alles getan, was zu tun gewesen war, und hatte es sehr gut getan, aber sie war davon überzeugt, dass es nicht genug war. Mit Sicherheit hatte die Welt ihre Not ignoriert, aber das führte auch nicht dazu, dass sie glaubte, ohne Schuld zu sein. Eine Menge CFC -Mütter fühlten genauso. Amy Hess und Molly Santa Cruz zum Beispiel taten es, und sie waren obendrein zu Hause geblieben, waren die einfallsreichsten Super-Behinderten-Mütter geworden, die ich überhaupt kannte. Aber ihrer Schuld entkamen sie nicht: Sie lebte tief in ihnen, tief in der Keimbahn des Mütterlichen. Johanna war Walkers Mutter, der Mensch, aus dem sein beschädigter und schmerzender Körper hervorgegangen war. Sie konnte über seine Gebrochenheit nicht nachdenken, weil das diese angstvolle Trauer in ihr wachrief, und doch konnte sie ihn auch nicht ignorieren. Das Beste, was sie tun konnte, war, ruhig zu bleiben, geschäftig und in Bewegung, sich zu kümmern, ohne sich selbst zu viele Fragen zu stellen. Es war ein komplizierter Trick. Als würde man versuchen, in hochhackigen Schuhen über ein Gitter auf dem Bürgersteig zu gehen, nur dass dieses Gitter über die Hölle und ewige Verdammnis führte.
Als sie wieder sprach, sagte sie: »Ich weiß nicht, worin Walkers Wert für die Welt besteht. Ich bin nicht sicher, ob ich zustimmen würde, dass sein dauerhafter Wert darin besteht, Menschen berührt zu haben. Das sein ganzes Leben so ein Scheiß Gandhi-Zeug sein muss, dass sich die Leute dann mit sich selber besser fühlen. Ich glaube, dass sein Leben nicht dadurch einen Wert haben sollte, dass er andere Leute dazu bringt, zufriedener mit ihrem eigenen Leben zu sein. Ich finde, sein Leben sollte seinen eigenen Wert in sich selbst haben.«
»Nein, so hatte ich das auch nicht gemeint«, sagte
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