Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)
Fruchtwasseruntersuchung, einem wesentlich präziseren, aber invasiven Verfahren, bei dem die Fruchthöhle punktiert wird und gelegentlich Komplikationen auftreten.
Sequenoms neuer Test misst die Fötalzellen im Blut der Mutter – ein nicht-invasiver Bluttest, der so genau wie eine Fruchtwasseruntersuchung war, und das bereits zehn Wochen nach Eintreten der Schwangerschaft. Bislang kann der Test das Geschlecht des Babys feststellen und das Blut auf das Down-Syndrom und zwei weitere Defekte untersuchen, Trisonomie 13 (zusätzliches Material im dreizehnten Chromosom, das mit dem Patau-Syndrom in Verbindung gebracht wird, was zu »Vorfällen« führen kann wie einer Gaumenspalte, zusätzlichen Fingern, schweren Behinderungen, Herzfehlern und Kryptorchismus) und Trisonomie 18 (Klauenhände, Herzfehler, niedriges Geburtsgewicht, geistige Behinderung, Hodenretention, eine Verkürzung des Brustbeins und dazu gehörige Muskeldeformationen in der Bauchdecke 2 .) Die Firma plant die Testmöglichkeiten auszuweiten, um Störungen ermitteln zu können wie zystische Fibrose, Sichelzellenanämie und das Tay-Sachs-Syndrom. All das verspricht den schwangeren Frauen weniger Ängste, besonders den älteren (oder Frauen mit älteren Ehemännern), deren ungeborene Kinder ein höheres Risiko tragen, genetische Deformationen zu besitzen.
Der Test ist keineswegs umfassend oder subtil: Er greift nicht bei so seltenen Syndromen wie dem Walkers, dessen Behinderung weit gravierender ist als bei der Mehrheit der Down-Kinder, von denen viele normale, vergleichsweise selbstständige Leben führen. Noch kann er den Schweregrad eines Syndroms messen. Selbst innerhalb des Spektrums von CFC -Kindern gab es zum Beispiel große Unterschiede bei ihren Fähigkeiten. Walker kann nicht sprechen oder kommunizieren, doch Cliffie Conger kann das und wird wahrscheinlich ein beinahe normales Leben führen können. Und doch, wenn Sequenom einen CFC -Test hätte, wäre es Cliffie, bei dem die Mutation nachweisbar wäre und bei einem pränatalen CFC -Test erscheinen würde – nicht Walker. Und Cliffie, der wesentlich fähiger und selbstständiger ist, wäre ein Kandidat für einen Abbruch. Das ist ein heikles Thema, das die Gentest-Firmen in ihren Verkaufsbroschüren nicht anschneiden.
Dennoch kann die Entscheidung, ein solches Leben gar nicht erst entstehen zu lassen, jetzt in der zehnten Schwangerschaftswoche getroffen werden 3 . In den Vereinigten Staaten brechen bereits zwischen 80 und 95 Prozent der Frauen, die eine pränatale Diagnose des Down-Syndroms erhalten, ihre Schwangerschaft ab. Der neue, noch präzisere Bluttest wird unzweifelhaft diesen Prozentsatz noch erhöhen. Und das Resultat? Das Down-Syndrom ist auf dem Weg zu einem bedrohten Status. Inzwischen gibt es siebzigtausend Menschen auf der Welt mit einer zystischen Fibrose, und jemand mit einer Sichelzellenanämie – ein Drittel Subsahara-Afrikas besitzt das Gen – kann bis zu fünfzig Jahre alt werden. Die Sequenom hat beide Krankheiten in ihrem Präventiv-Blick. Gentests sind ein Weg, das Unperfekte zu eliminieren – und auch den Schmerz, das ganze Leid, die mit jener mangelnden Perfektion einhergehen. Als Walker noch ein Kleinkind war und bevor er sich in meinem Herz, meinem Geist und meinen Erinnerungen festsetzte, verbrachte ich ein Teil jeden Tages damit, mir voller Wut zu wünschen, dass es einen Test gegeben hätte, zu wünschen, dass wir, was seine Existenz anbelangte, eine Wahl gehabt hätten, um seinet- und um unseretwillen. Jetzt, wo ich Walker kenne, bin ich erleichtert, dass es keinen solchen Test gab, dass ich mich dem ethischen Dilemma nicht stellen musste. Denn an seinen guten Tagen ist Walker ein Beweis dafür, was die Unperfekten und Zerbrechlichen zu geben haben, eine Erinnerung daran, dass es viele Wege dahin gibt, ein Mensch zu sein. Jemand, der Freude konzentriert und eine ständige Mahnung daran ist, jedes Staubkorn des täglichen Lebens zu beachten, das sonst unbeachtet entschlüpft.
Ein Test vermeidet all das, ungeachtet seiner Folgen.
Aber wenn es ein adäquateres System der Fürsorge für die Behinderten gäbe, wenn wir nicht solche Angst vor ihnen hätten, wenn die Aussicht, sich um ein behindertes Kind kümmern zu müssen, nicht drohen würde, das Leben derer zu zerstören, die sich um so ein Kind kümmern – wenn wir solche Alternativen hätten, würden wir dann überhaupt einen Test brauchen?
Ich hatte den Zeitungsbericht über den neuen Test zu Ende
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