Der Junge mit den blauen Haaren
gekümmert hat. Soweit ich zurückdenken kann, waren es immer nur Männer. Kannst du mir erklären, warum das so war?“
„Nein, Kim. Das kann ich nicht.“
Kays Stimme klingt angespannt.
„Ich habe schon überlegt, ob mein Vater dachte, Frauen haben vielleicht weichere Herzen. Ganz sicher wollte er nicht, dass ich jemanden habe, dem ich mich anvertrauen könnte.“
Die ersten Tränen rollen über meine Wange und ich wische sie mit einer wütenden Handbewegung fort.
„Möchtest du aufhören?“
„Nein! Jetzt habe ich angefangen und auch wenn es mir schwerfällt, das alles jemandem zu erzählen, möchte ich es doch loswerden. Es sei denn …“
„Was? Es sei denn was?“
„Es sei denn … dich interessiert es nicht wirklich und du möchtest lieber schlafen gehen …“
Obwohl ich in der Dunkelheit nichts sehen kann, kann ich mir Kays wütenden Gesichtsausdruck nur allzu gut vorstellen, als er seinen Arm von mir wegnimmt. Er verändert seine Position und gleich darauf, spüre ich, wie seine Hände sich fest um meine Oberarme schließen. Dann werde ich geschüttelt.
„Sag nie wieder, dass mich etwas, das dich belastet oder bekümmert, nicht interessiert!“
Sein harter Ton lässt mich schaudern. Kay scheint es zu spüren und seine Stimme wird weicher. „Ich habe dich nicht aus reiner Menschenfreundlichkeit gebeten, mir dein Herz auszuschütten, Kim. Ich habe es getan, weil es mich wirklich interessiert. Weil du mich interessierst, Kim.“
Meine Tränen strömen unaufhaltsam, als ich seine Worte in mich hineinsauge, wie ein Schwamm.
Noch niemals, hat sich jemand für mich interessiert. Jedenfalls nicht so. Und schon gleich gar nicht nach so kurzer Zeit.
„Entschuldige bitte!“
„Schon okay“, sagt er leise und ich kann sein Lächeln beinahe fühlen. Er nimmt mich wieder in den Arm. Mittlerweile lehnt er mit dem Rücken an der Wand und ich habe es mir zwischen seinen Beinen bequem gemacht. Ich kann mich nicht erinnern, jemals etwas auch nur annähernd Schöneres gefühlt zu haben. Selbst die widrigen Umstände, die hierzu geführt haben, kann ich für einen klitzekleinen Augenblick verdrängen und einfach nur seine warme Brust in meinem Rücken genießen.
Dann atme ich ganz tief durch und fahre mit meiner Lebensgeschichte fort.
„Zweimal im Jahr kam ein Arzt und hat mich auf Herz und Nieren gecheckt. Er kam immer, auch wenn ich mich gar nicht krank fühlte. Wenn ich so richtig darüber nachdenke, war ich auch niemals richtig krank. Weißt du, Kay, manchmal hatte ich den Eindruck, dass mein Vater beinahe von dem Arzt erwartet hat, dass er endlich eine schlimme Krankheit bei mir findet.“
„Wie kommst du darauf, Kim? Kein Mensch wünscht einem anderen etwas so Böses.“
Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich inzwischen doch etwas müde bin, denn irgendwie klingt Kays Stimme so, als könne er es sich durchaus vorstellen, dass es so etwas gibt.
Da ich nun aber fast am Ende meiner Geschichte bin, will ich den Rest auch unbedingt noch loswerden.
„Du kennst ihn nicht“, sage ich finster.
„Nein“, Kays Ton ist hart, „das tue ich nicht. Wenn es so wäre, Kim, dann wüsste ich nicht, was ich mit ihm täte.“
Mir gelingt ein Schmunzeln, als ich mir vorstelle, wie der junge Kay sich vor meinem alten Herrn aufbaut und ihm so richtig die Meinung geigt. Allerdings erstarrt es zu einer Maske der Angst, als ich daran denke, was die Gorillas meines Vaters wohl mit ihm machen würden.
„Denk nicht mal dran“, sage ich deshalb etwas hitziger, um die Angst in meiner Stimme zu kaschieren, „unser Haus ist eine Festung mit allen erdenklichen Sicherheitseinrichtungen, die du dir nur vorstellen kannst. Es gibt sogar ein Kontrollzentrum mit Überwachungskameras. Jedes Zimmer, jeder Eingang, jede Nische … alles wird überwacht, Kay, einfach alles.“ Sogar mein Zimmer und mein Bad. Ich muss es nicht aussprechen. Ich weiß, dass Kay es sich denken kann. Höre ich da etwa seine Zähne knirschen? „Vor ein paar Wochen durfte ich plötzlich, nachdem ich jahrelang Privatunterricht erhalten habe, eine öffentliche Schule besuchen. Kannst du dir vorstellen, wie das für mich war, Kay?“
„Du wurdest einfach ins kalte Wasser geworfen?“ Kay kann seinen Unmut nicht länger verbergen.
„Ja, einfach so. Gestern wurde ich quasi noch von einem Hauslehrer unterrichtet und am Tag darauf stand ich plötzlich hunderten Menschen gegenüber. Menschen, die so alt waren wie ich, Kay. Diese Menschen waren für mich …“ Ich suche
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