Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Junge mit den blauen Haaren

Der Junge mit den blauen Haaren

Titel: Der Junge mit den blauen Haaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Loesel
Vom Netzwerk:
Ich kann praktisch spüren, wie Kay seinen Kopf schüttelt. „Und der war wahrscheinlich auch noch manipuliert … Himmel, Kleines, wie hast du das denn nur ausgehalten?“
„Ich kannte es nicht anders, Kay“, antworte ich leise. „An manchen Tagen bestand meine einzige Beschäftigung darin, Edward und Bella auf ihrem Platz auf der Fensterbank beim Wachsen zuzusehen ...
Das Licht der plötzlich eingeschalteten Taschenlampe lässt mich heftig blinzeln. Es dauert einen Moment, ehe sich meine Augen daran gewöhnen.
Kay schaut mich an, als sei mir gerade ein zweiter Kopf gewachsen. Er öffnet den Mund ... schließt ihn wieder ... öffnet ...
„Edw... ähm ... du hast Haustie ... oh ... du hast Goldfische?!“
Jetzt ist es an mir, ihn ziemlich dümmlich anzustarren.
„Was? Wie kommst du denn darauf?“
Kay reibt sich die Nase. „Naja ... Edward und Bella ...“
Ich kann nicht anders. Ich muss kichern.
„Was?“
„Ähm, also, Edward und Bella sind ... meine Usambaraveilchen.“ „ Du hast Usambaraveilchen auf deiner Fensterbank?“
Ich sehe, dass Kay darum kämpft, mich nicht für komplett verrückt zu halten.
„Ja, hmhmm, zwei Stück. Ein pinkfarbenes und ein blaues.“
„Lass mich raten ... Edward ist das pinkfarbene ...“ Kays Miene ist unergründlich.
Ich kneife meine Augen zusammen. „Willst du mich verarschen?“ gifte ich.
„Gott, Kim, nein! Es tut mir leid.“
Wir schweigen einen Moment so vor uns hin und Kay schaltet die Taschenlampe wieder aus.
„Vermutlich bist du sogar in prominenter Gesellschaft damit“, sagt Kay schließlich leise, wobei ich das Grinsen in seinem Gesicht beinahe hören kann.
„Wie meinst du das denn jetzt?“
„Nun, ich hab mal irgendwo gelesen, dass ein gewisses Mitglied der englischen Königsfamilie sogar mit den Pflanzen spricht.“
Ah ja, ich weiß, wen Kay meint.
„Tja“, murmele ich, „bei der Größe seiner Ohren vermute ich, dass er sogar hören kann, wenn sie antworten.“
Jetzt ist es um Kays Beherrschung geschehen. Er prustet lauthals los, hält sich dann aber erschreckt eine Hand vor den Mund … nehme ich jedenfalls an, da seine Stimme jetzt irgendwie gedämpft klingt.
„Edward und Bella, also, hm?“
Ich schweige beleidigt.
Kay räuspert sich. Beinahe tut er mir leid. Er kann ja nun wirklich nichts dafür, dass ich so bekloppt bin.
„Du hast deinen Pflanzen also Namen gegeben? Von Vampiren?“
„Ich … ähm … ich liebe diese Bücher … und ja, ich habe meinen Veilchen Namen gegeben.“
Meine letzten Worte klingen genau so, wie ich mich fühle … kindisch und trotzig.
„Entschuldige“, höre ich seine zerknirschte Stimme, „es tut mir so leid, Kim. Es ist nur … verdammt, es ist so schwer zu verstehen.“
Selbstverständlich verzeihe ich ihm unverzüglich. Selbst ich weiß, dass meine Lebensgeschichte unglaublich klingt.
„Darf ich dich etwas fragen?“ Kay klingt unsicher.
Ich muss lachen, doch es klingt verbittert.
„Kay, ich habe mich gerade ausgezogen vor dir … also, bildlich gesprochen“, stammele ich und spüre, wir mir das Blut in die Wangen schließt.
„Warum hast du dich niemals jemandem anvertraut?“
„Wem denn? Den Gorillas meines Vaters? Die alles für ihn tun würden?“ Vermutlich sogar töten … „ Den Lehrern in der Schule, oder deinen Mitschülern?“
Ich muss nur kurz überlegen, denn die Antwort liegt klar auf der Hand.
„Vermutlich habe ich niemandem genug vertraut …“ Nicht so wie dir. Kays Atem entweicht mit einem Zischen, das heißt, er hat die Luft angehalten. Ist ihm meine Antwort so wichtig gewesen?
„Wenn du möchtest, bringe ich dir alles bei, was du brauchst, um dich unter Gleichaltrigen zurecht zu finden.“
„Das … das wäre wirklich … furchtbar lieb von dir, Kay!“
„Okay“, sagt er forsch, „morgen beginnt dein Unterricht, Kleines. Und jetzt wird geschlafen!“
Kay klettert von meinem Bett und schaltet seine Taschenlampe wieder ein. Er richtet sie wieder auf mich, doch er leuchtet nicht direkt in mein Gesicht. Ich winke ihm zaghaft zu.
Immerhin habe ich diesem Jungen gerade mein Herz ausgeschüttet.
Kay kommt noch einmal auf mich zu, er beugt sich vor und küsst mich sanft auf die Wange.
„Gute Nacht, Kim, schlaf gut!“
Meine Hand gleitet unwillkürlich zu meiner Wange. Hat er mich tatsächlich eben geküsst? „Gute Nacht, Kay, du auch!“, sage ich, bevor er womöglich denkt, ich hätte wirklich nicht mehr alle Latten am Zaun.
Aber als der schwache Lichtschein der Taschenlampe kurz auf

Weitere Kostenlose Bücher