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Der Junge mit den blauen Haaren

Der Junge mit den blauen Haaren

Titel: Der Junge mit den blauen Haaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Loesel
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nach Worten, doch ich finde keine bessere Umschreibung, als …
„Aliens?“ Kay weiß wie immer, was ich meine.
„Ja“, antworte ich, „Außerirdische trifft’s wohl ganz gut.“ Ich ringe mir ein Lachen ab. „Bis dahin hatte ich immer nur Erwachsene um mich. Ich war sozusagen niemals ein gewöhnlicher Teenager. Ich konnte ja nicht mal mitreden, wenn es um so triviale Dinge wie Popbands oder Schauspieler oder Filme allgemein ging.“ Ich spüre, wie ich mich in Rage rede und ich zu hyperventilieren beginne.
„Ganz ruhig, Kleines!“ Kay hebt mit zwei Fingern mein Kinn an. Warum sieht er im Dunkeln eigentlich so gut? Ach, Quatsch, er hört es natürlich. Mein Atem beruhigt sich wieder.
„Bin gleich fertig, Kay. Himmel, wie spät ist es denn eigentlich?“
Das Display seiner Armbanduhr leuchtet auf und ich sehe, dass es gleich Mitternacht ist.
Verdammt, ich quatsche ihm schon beinahe eine Stunde die Ohren voll.
„Ich habe Zeit, Kim.“
Leise, sanft, ohne Eile. Einfach nur beruhigend. Ich kann spüren, wie ich mich immer mehr zu ihm hingezogen fühle.
Aber ist dieses Gefühl echt? Ist es nicht so, dass ich außer Taylor ja noch keinen Jungen näher kennengelernt habe und deshalb womöglich einfach nur denke, ich würde mich verlieben? Viele Vergleichsmöglichkeiten kann ich ja nun wirklich nicht vorweisen. Habe ich nicht gerade vor ein paar Stunden auch Daniel ziemlich attraktiv gefunden? Und Tiger sieht auch schnuckelig aus. Greg … nun ja, er ist ein Nerd!
Vielleicht bin ich ja eine Schlampe und mein Vater hat das schon so früh erkannt, dass er mich einfach nur vor dem männlichen Teil der Weltbevölkerung fernhalten möchte, um nicht mit einer Schar von ungewollten Enkeln konfrontiert zu werden.
„Kim … hey, Kleines … beruhige dich. Atme ganz langsam, komm, so wie vorhin, ja?“
Ich habe nicht einmal bemerkt, dass ich kurz vorm Ausflippen stehe.
Plötzlich spüre ich Kays Lippen ganz nah an den meinen. Sie berühren mich nicht wirklich, aber ich kann sie fühlen … seinen Atem, der genauso frisch riecht, wie er selbst. Irgendwie eine Mischung aus Pfefferminze und Zitrone.
Gemeinsam schaffen wir es, ich werde ruhiger.
„Warum bist du jetzt hier?“
„Was?“
„Naja, warum konntest du nicht auf dieser Schule bleiben?“
Ich sinke zusammen. „Ich weiß es nicht, Kay. Genauso schnell, wie ich damals dorthin gekommen bin, so schnell war ich auch wieder weg. Vielleicht lag es daran, dass ich so viele kleine Unfälle hatte …“
„Welche Unfälle?“ Kays Stimme war laut und … lauernd?
„Naja, Kleinigkeiten. Vielleicht bin ich einfach nur genau der Schussel, der ständig irgendwo hinfällt. Du hast es ja selbst erlebt heute.“ Mein Versuch zu scherzen kommt bei Kay nicht an.
„Es war meine Schuld, schon vergessen?“, raunzt er mich an. Dann, etwas sanfter: „Also, was ist passiert?“
Seufzend erzähle ich ihm, wie ich beinahe unter die Kehrmaschine geraten bin … wie das Seil in der Sporthalle riss, als ich fast ganz oben angekommen war …
„Au, du tust mir weh!“
Kays Finger graben sich tief in meine Oberarme.
„Tut … tut mir leid, Kim. Bitte, entschuldige, ich wollte dir nicht wehtun!“
Besänftigend streicheln seine Hände die Stellen, in die er gerade seine Fingernägel gebohrt hat.
„Schon gut, es tut nicht mehr weh“, sage ich, weil ich ganz einfach weiß, dass es die Angst um mich ist, die Kay so reagieren lässt.
Woher ich diese Gewissheit nehme? Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ich Recht hab.
„Danke, dass du mir das alles erzählt hast, Kim.“
„Ich danke dir, dass du mir zugehört hast, Kay.“
„Jetzt verstehe ich, warum du so unsicher bist in Gesellschaft von so vielen Menschen.“
Ich nicke, dann fällt mir ein, dass er es ja nicht sehen kann.
„Ja“, sage ich leise, „es ist wie eine Art Reizüberflutung. Ich habe auch ständig Angst, jemand könnte mich etwas fragen, etwas ganz alltägliches, und ich habe keine Ahnung davon … so wie du vorhin mit dem Laptop.“
„Du hast niemals einen PC gehabt?“
„Nein, weder einen PC, noch ein Handy … ich hatte auch kein Fernsehen … nur einen einzigen Radiosender konnte ich empfangen. Und der brachte keine Nachrichten. Oder vielleicht gab es da Nachrichten und mein Vater hat es irgendwie geschafft, diese zu überspringen. Ich weiß es wirklich nicht.“
Immer leiser ist meine Stimme geworden, was sicher auch daran liegt, dass ich nun wirklich im Sitzen einschlafen könnte.
„Nur Bücher und einen Radiosender?“

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