Der Junge mit den blauen Haaren
wieder irgendetwas.
Gelegenheit mach bekanntlich Diebe!
Tomatensoßenflecken lassen sich kaum jemals entfernen – egal, was die Waschmittel-Industrie uns auch immer vorgaukelt. Und ich mag meinen Jeansrock.
Wenn Kay sich neben sie setzt, wird er ihren schamlosen Attacken gnadenlos ausgeliefert sein.
Und doch!
Kay ist derjenige von uns beiden, der eindeutig mehr Mumm hat. Er wird sich schon zu helfen wissen.
Zumindest hoffe ich, dass er das überhaupt will. Es kommt genau so, wie ich mir dachte.
Kay rückt mir aufmerksam den Stuhl neben Rheena zurecht, während er meinen ursprünglichen Platz einnimmt. Was ihm sofort ein aufreizendes Zahnpastalächeln von Nelly-Melly-Silvia einbringt, auf das er zu ihrer offensichtlichen Enttäuschung lediglich mit einem knappen Kopfnicken reagiert.
Kay spielt den Gentleman und packt eine Portion Lasagne auf meinen Teller, bevor er sich selbst versorgt.
Das Strahlen, das er mir dabei schenkt, lässt meine Ängste schlagartig in den Hintergrund treten.
Himmel! Er ist wirklich der heißeste Junge unter der Sonne. Wir essen mit gutem Appetit.
„Hmm, lecker“, seufze ich und schließe kurz die Augen.
Als ich sie wieder öffne, sehe ich, wie Kay Nelly-Melly-Silvias Hand von seinem Oberschenkel schiebt und ich verschlucke mich.
Kay klopft mir sanft auf den Rücken. „Geht’s wieder?“, fragt er besorgt und reicht mir ein Glas Wasser.
Ich stürze hastig einen großen Schluck hinunter und nicke mit tränenden Augen.
Das ist ja wohl die plumpste Anmache, die ich je erlebt habe.
Okay … nicht, dass ich so etwas überhaupt jemals erlebt hätte.
Tief durchatmen, Kim!
Als wäre nichts geschehen, essen wir weiter. Zumindest bemühe ich mich, so zu tun, als ob.
„Oh, Kay“, säuselt Miriam plötzlich, „du hast ja gar nichts mehr zu trinken. Silvia, sei doch so lieb …“
„Ich habe noch zu trinken“, entgegnet Kay und lässt Miriam gar nicht ausreden, „vielen Dank!“
Er greift zu dem Glas, aus dem ich gerade getrunken habe und trinkt den Rest Wasser, den ich übrig gelassen habe.
Das Lächeln gefriert Miriam auf dem Gesicht.
„Oh“, flötet sie und die Falschheit ist aus diesem winzigen Wort deutlich herauszuhören, „so weit sind wir also schon.“
Falsch, du Schlange! So weit wäre ich gerne! Alle, die noch am Tisch sitzen, wissen, was ihre Worte bedeuten.
„Hast du Probleme damit?“
Die Frage von Rheena kommt scharf, aber ein schadenfrohes Grinsen kann sie dennoch nicht unterdrücken.
Ehe Miriam darauf antworten kann, dringt die laute Stimme unserer Direktorin an unser Ohr.
„Alle mal herhören, bitte!“
Artig unterbrechen wir unser Abendessen und drehen uns in ihre Richtung.
„Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass für heute Abend eine Ausgangssperre verhängt ist.“
Sofort hallt der Speisesaal von unterdrückten Flüchen und beleidigtem Gemurmel wider.
„Ruhe bitte!“
Mrs. McMillan wartet, bis sich das Geplapper auf ein gehöriges Maß reduziert hat.
„Die Polizei hat gerade eben angerufen. In der Stadt wurde ein entlaufener Sträfling gesichtet. Als Ihre stellvertretende Erziehungsberechtigte habe ich die Pflicht, Sie vor jeglicher Gefahr zu schützen. Daher ist der Ausgang bis auf weiteres gestrichen.“
Sie hebt eine Augenbraue. „Und fangen Sie gar nicht erst an, mit mir zu diskutieren! Ich wünsche allen ein schönes Wochenende!“
Mrs. McMillan rauscht aus dem Speisesaal und allen Schülern ist schlagartig der Appetit vergangen.
„Es tut mir leid, Kim!“, flüstert Kay und reibt mir tröstend den Rücken.
Vermutlich sehe ich ebenso enttäuscht aus, wie all die anderen hier im Saal.
Doch Enttäuschung ist es nicht, die mich schier zerfrisst.
Es ist mein schlechtes Gewissen. Warum?
Ich weiß nicht, woher ich die Gewissheit nehme, aber ich bin felsenfest davon überzeugt, dass mein alter Herr etwas mit der Geschichte zu tun hat … und es tut mir leid, dass es dieses Mal auch andere betrifft, die unter seiner despotischen Herrschaft zu leiden haben.
27)
N atürlich ist der Abend gelaufen.
Keiner hat mehr Lust, irgendetwas zu unternehmen.
Rheena und Tiger kommen zwar noch für eine Stunde mit Kay und mir auf mein Zimmer. Aber außer, dass wir uns noch einmal über Miriam und Nelly-Melly-Silvia aufregen und uns die Frage stellen, wohin Dan so plötzlich verschwunden ist, kommt keine rechte Stimmung auf.
Also verabschieden wir uns gegen zehn Uhr von dem Pärchen, das mehr als glücklich darüber ist, dass Kay und ich über ihr Zusammensein Bescheid
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