Der junge Seewolf
sah, daß es noch etwa zweihundert Yard zum Fort waren, sobald sie den Schutz der Büsche verlassen hätten.
»Verdammt, auf der langen Strecke erkennen sie doch unsere Maskerade!« fluchte er.
»Sir«, flüsterte der Sergeant der Seesoldaten, der als ›Gefangener‹ neben ihm stapfte: »Ich könnte nachher so tun, als ob ich flüchten will. Sie lassen hinter mir herballern, das lenkt die im Fort von ihnen ab. Aber schießen Sie nicht zu gut!«
Mr. Morsey fand den Vorschlag ausgezeichnet, flüsterte mit Haddington und zwei anderen ›Piraten‹, wie sie schießen sollten, und gab die Losung nach hinten weiter, daß schneller marschiert werden solle, wenn die ›Flucht‹ beginne.
Sie hatten sich dem Fort auf etwa einhundertzwanzig Yard genähert.
Die Wachen erwiderten das Winken der ›Piraten‹. Dann hetzte der Sergeant seitwärts auf den Wald zu und schlug Haken wie ein Hase.
Haddington und die beiden anderen liefen ihm einige Schritte hinterher, schrieen und schossen mit ihren Pistolen. Der Sergeant stürzte, als ob er getroffen wäre, raffte sich wieder auf und lief stolpernd weiter. Haddington nahm die Verfolgung auf. Die anderen legten die Musketen an und feuerten.
Mr. Morsey sah, wie die Wachen im Fort nur noch auf die ›Flucht‹ achteten und trieb seine Leute mit Winken und Flüstern zum Laufen an. Als sie noch zwanzig Yard vor dem Fort waren, brüllte er: »Auf sie! Stürmt das Tor!«
William hörte die Schüsse und das Geschrei, als er am Waldrand an der Rückseite des Forts kauerte. Mr. Bates hatte sich mit seinem Haufen im schwachen Mondschein durch den Wald vorgearbeitet und beobachtete jetzt, wie sich die Wachen umdrehten oder gar zum Tor liefen.
Er stieß die Faust hoch und rannte mit seinen Leuten schweigend auf die Palisaden zu. Der Posten schreckte auf, als die Enterdraggen neben ihm in die Stämme fuhren. Er öffnete den Mund zum Schrei, als ihn ein zielsicher geworfenes Entermesser zu Boden riß.
Im Nu waren William und die anderen oben auf den Palisaden, sprangen in den Hof und stürzten auf die Hütten zu, in denen die Gefangenen untergebracht sein sollten. Die Wachen, die sich dem Krach vor dem Tor zugewandt hatten, wurden niedergemetzelt. Dann drangen einige in die Hütten ein, um die Gefangenen zu befreien, während die anderen die Torwache angriffen.
Von draußen stürmten Morsey und seine Männer das Tor. Von innen griffen Bates und seine Leute an. Aber die Torwache ergab sich nicht. Die Piraten schossen und schlugen um sich, bis sie in Stücke gehackt waren und das Tor aufschwang. Die Shannons ergossen sich wie eine Flut in das Fort und erstickten jeden Widerstand.
Haddington lief mit keuchenden Lungen zum Ufer und rief einer Bootswache zu: »Bringt mich zur Shannon! Ich soll den Sieg melden.« Als sie an der Schebecke vorbeipullten, rief er den Seeleuten an der Reling zu: »Wir haben das Fort gestürmt!«
Hurrarufe antworteten ihm. An der Shannon raste er das Fallreep hoch, lief zum Achterdeck, salutierte und stieß mit strahlendem Gesicht hervor: »Meldung von Mr. Morsey, Sir. Angriff gelungen, alle Gefangenen unverletzt befreit, nur Leichtverwundete bei der eigenen Mannschaft!«
Was immer Kapitän Brisbane an Erleichterung verspürte, seiner steinernen Miene war nichts anzumerken.
»Ankern Sie längsseits der Schebecke!« befahl er dem diensttuenden Steuermannsmaaten, berührte mit dem Zeigefinger die Warze an seiner Nase und nuschelte zu Charles: »Genauen Bericht erwarte ich sofort in meiner Kajüte, Mr. Haddington!«
Haddington erwähnte in der Kajüte noch einmal die Kriegslist: »Der Sergeant ist mit allen Wassern gewaschen, Sir. Nach seinen Worten hat er früher in der Truppe der Ehrenwerten Ostindischen Kompanie gedient, aber ich will nicht wetten, daß er nicht selbst Räuber oder Pirat war. Egal! Es hat gewirkt. Ohne ihn hätten wir schwerere Verluste als die paar Leichtverwundeten. Von den Piraten sind fünfzehn tot, zehn leicht oder schwer verwundet, vierzehn Gefangene befreit.«
Die befreiten Gefangenen wurden bald mit Kuttern zur Shannon gebracht. Einige waren so schwach, daß sie mit dem Bootsmannsstuhl an Deck gehievt werden mußten. Zwei Frauen waren darunter und ein Mädchen von etwa vierzehn Jahren.
Kapitän Brisbane ließ – noch bevor sie an Bord waren – seinen Steward rufen. »Große Kajüte und Schlafkammer für Gäste freimachen! Ich schlafe im Kartenraum.«
Dann konnte er noch nach dem Arzt schicken, bevor die Befreiten ihn umdrängten
Weitere Kostenlose Bücher