Der junge Seewolf
Messer oder Säbel wehren, aber überwiegend lagen Tote, Sterbende und Verwundete unter Deck. Bald war alles vorbei.
Die Enterer trieben ein halbes Dutzend Leichtverwundete an Deck, warfen die toten Piraten über Bord und untersuchten den Zustand der Schebecke.
»Sie nimmt Wasser, hat Schußlöcher unter der Wasserlinie, kann aber mit Pumpen und Abdichten schwimmfähig gehalten werden«, meldete der Zimmermannsmaat.
Sie mußten eine transportable Pumpe und Zimmermannsmaterial von der Shannon bringen, aber als die Sonne sank, hatten sie das Schiff gesichert.
Der Dritte Leutnant löste Mr. Morsey ab, der dem Kapitän berichtete.
»Gut gemacht, Mr. Morsey! Die große Schebecke ist gesunken, als Sie die Piraten ausräucherten. Ich habe den Kutter nach Überlebenden suchen lassen, aber nur drei ließen sich retten. Die anderen wollten lieber ertrinken oder von den Haien gefressen werden. Wir haben insgesamt zweiundsechzig Gefangene, davon achtundzwanzig Verwundete, von denen neun hoffnungslose Fälle sind. Auf beiden Schebecken sollen zusammen etwa dreihundertzwanzig Mann gewesen sein, wie drei Piraten erzählten, zwei Holländer und ein Franzose. Mr. Town quetscht sie noch wegen ihrer Landbasis aus. Sie geben an, zum Piratendienst gezwungen worden zu sein. Wir selbst haben sieben Tote und fünfzehn Verwundete, davon drei lebensgefährlich.«
Im Unterdeck saß David im Lazarett, das vor dem Cockpit eingerichtet war, in dem der Schiffsarzt immer noch operierte. Er starrte mit tränenden Augen auf seinen Freund Richard, dessen linkes Bein fünf Inches oberhalb des Knies von einer Kanonenkugel abgerissen war.
Der Arzt hatte die Adern abgebunden und den Stumpf mit einem Verband bedeckt, der schon wieder blutdurchtränkt war. Richard war leichenblaß und atmete stoßweise. Seine Stirn war schweißnaß. David wischte sie ihm ab, netzte seine Lippen und sprach flüsternd auf ihn ein, wenn Richard aufstöhnte.
»Er spürt nichts, Mr. Winter«, sagte der Kapitän und legte ihm die Hand auf die Schulter, »der Arzt hat ihm genug Laudanum gegeben. Er wird bald schlafen, und wir wollen beten, daß er am Leben bleibt.«
Der Kapitän ging weiter, bückte sich zu seinen Leuten, tröstete und versuchte Hoffnung zu geben. David folgte ihm mit den Blicken und sah die röchelnden, blutenden, zerfetzten Leiber. Einige riefen im Delirium nach ihren Lieben, nach der Heimat. Andere dämmerten dahin, der Gesundung oder dem Tod entgegen.
Ein Sanitätsgast kam vorbei: »Können Sie Ihren Freund säubern? Wir schaffen nicht alles.«
David sah fragend hoch, und der Sanitätsgast wies auf Richards Hosen. David holte sich einen Eimer und Lappen und säuberte, seinen Ekel niederkämpfend, Richard von Urin und Kot, die dieser bei der Operation oder danach entleert hatte.
Als Richard eingeschlafen war, schlich sich David ins Cockpit zurück, in dem der Arzt nicht mehr operierte, das aber noch nach Blut, Urin und Kot stank. Am Tisch saßen einige ältere Midshipmen, betranken sich mit aufgespartem Grog und erzählten sich immer wieder ihre Taten.
Als sich David am Tisch vorbei zu seiner Hängematte tastete, stierte ihn Gilbert Marsh betrunken an: »Na, der feine Herr trinkt wohl nicht mit jedem auf unseren Sieg? Hier!« hielt er ihm einen Becher hin. »Auf unseren Sieg, du Milchbaby!«
In David explodierten Trauer und Jähzorn. Er schlug den Becher zur Seite und schrie Marsh an: »Was bist du nur für ein Vieh! Unten sterben unsere Kameraden, und du kannst nur saufen und grölen!«
Marsh schüttelte den Kopf, als könne er nicht begreifen: »Du Bastard! Du verdammter Hurensohn! Willst du einem älteren Offizier des Königs sagen, was er zu tun hat?« Er steigerte sich in Wut: »Willst du kleiner Drecksack mir vorschreiben, wann ich trinken darf? Dir brech ich deine verdammten Knochen!« Er stieß den Tisch um und stampfte auf David zu.
»Befehl vom Kapitän!« rief eine helle Stimme vom Cockpiteingang. »Alle etatmäßigen Midshipmen und Steuermannsmaate sofort zu den Divisionsoffizieren in die Offiziersmesse!«
Morrison zog den schwerfälligen Marsh mit sich. David stand noch da wie angewurzelt, fühlte sich unendlich leer und zerschlagen und kroch in seine Hängematte. Das leise Schluchzen neben ihm mußte Matthew sein, aber er hatte keine Kraft mehr zu fragen.
Die Befreiung der Gefangenen
Vor Dämmerungsbeginn rissen die Pfeifen David aus einem Schlaf, der seine körperliche und seelische Erschöpfung kaum gemildert hatte. »Reise,
Weitere Kostenlose Bücher