Der junge Seewolf
wie sie zu trauern haben. Am wenigsten Sie, der Sie als Anfänger Ihr erstes Gefecht erlebten, dürfen sich zum Richter aufschwingen. In Ihrem Hochmut haben Sie einen ranghöheren Kameraden beleidigt und keine Reue gezeigt. Nach dem Gesetz des Cockpits werden Sie ›gecobt‹, bis Sie um Verzeihung bitten oder vierundzwanzig Schläge erduldet haben.«
Auf ein Zeichen von Morrison zogen vier Midshipmen David über den Tisch, rissen ihm die Hosen herunter und streiften das Hemd nach oben. Mr. Marsh selbst ergriff den alten, mit feuchtem Sand gefüllten Strumpf, das Instrument der Selbstjustiz des Cockpits.
Er ließ die Haut nicht aufplatzen und daher den Bestraften nicht in der offiziellen Krankenliste auftauchen, aber es schmerzte höllisch und führte zu Blutergüssen und Schwellungen, die noch Tage danach an die Strafe erinnerten.
Als David auf dem Tisch lag und sich unter den furchtbaren Schlägen wand, war eines noch schlimmer als der Schmerz: die Schmach, mit nacktem Hinterteil wehrlos der Brutalität seines Feindes ausgeliefert zu sein. Er stöhnte, aber er bat nicht um Verzeihung, bis die vierundzwanzig Schläge vorbei waren.
Der Gehilfe des Schiffsarztes fühlte den Puls, stellte fest, daß sich David die Unterlippe zerbissen hatte, rieb ihn mit kühlender Heilsalbe ein, und seine Freunde trugen David vorsichtig in die Hängematte, wo sie ihn in Seitenlage festbanden, um seinen gequälten Rücken kühlen zu können.
Gilbert Marsh stürzte gierig einen Becher mit Rotwein herunter, aber das Triumphgefühl verging ihm, als er die Gesichter der älteren Messekameraden sah.
Morrison unterbrach schließlich die Stille: »Marsh, ich habe gesehen, wie du zweimal versucht hast, seine Nieren zu treffen. Wäre es dir einmal gelungen, hätten wir dich selbst ›gecobt‹ ; Winter mußte verurteilt werden, aber wir kennen dich. Unser Gesetz ist für dich kein Freibrief für Quälerei und Heimtücke. Denke mehr an deine Pflichten als an deine Rechte, sonst trifft dich unser Gesetz!«
Mr. Marsh wandte sich mit einem unterdrückten Fluch ab.
Die nächste Vormittagswache sah die beiden Feinde wieder auf dem Achterdeck. Mr. Marsh hatte Wache, und David war mit den Servants beim Unterricht. Mr. Hope paukte mit ihnen die Bestimmung des Breitengrades. Er hatte aus seinem eigenen ›Archiv‹ einen Jakobsstab geholt und demonstrierte ihnen, wie mit recht primitiven Mitteln die Breite gemessen werden konnte.
Dann erläuterte er sein eigenes Schmuckstück, einen Sextanten des Optikers Bird aus London. Jeder mußte den Horizont anvisieren, die Sonne anpeilen, die Schrauben verstellen und die Winkel ablesen.
David stand während des Unterrichts. Mr. Hope, der Master, hatte zu dieser Bitte erst ungläubig aufgeblickt, sah Davids geschwollene, blutunterlaufene Unterlippe, seine krampfhaft gerade Haltung und nickte Zustimmung. Er erinnerte sich an die Selbstjustiz des Unterdecks und wußte, daß man dem Gestraften die Scham öffentlicher Bloßstellung ersparen sollte.
Susan dagegen, die mit ihrer Mutter das Achterdeck betrat, war diese Weisheit fremd. Als Mr. Bates, der diensthabende Offizier, die Damen begrüßte, suchten ihre Augen nur nach David. Als sie ihn unter den Servants beim Master entdeckte, fragte sie ihre Mutter: »Darf ich David begrüßen, Mutti?«
Mr. Bates schaltete sich ein: »Verzeihen Sie die Einmischung, aber Mr. Winter hat jetzt Dienst, Navigationsunterricht beim Master. Da darf er sich Ihnen nicht widmen!«
Susan sah enttäuscht ihre Mutter an, die mit leisem Lächeln meinte: »Du wirst es noch etwas aushalten können. Laß uns an die Reling treten und schauen, ob es etwas Interessantes zu sehen gibt.«
Auf dem Weg mußte Susan noch einmal zu David inmitten der anderen Servants zurücksehen. »Mutter, warum steht David so steif da, während alle anderen bequem hocken?«
»Das kann ich Ihnen sagen, Miss«, mischte sich Mr. Marsh ein, der Wache hatte, »Mr. Winter hat sich wie ein ungezogener Lausebengel benommen, und er hat eine Strafe empfangen, wie sie frechen Jungen zusteht. Danach kann man einige Tage nicht gut sitzen, wenn Sie verstehen, was ich meine, Miss.«
Mrs. MacMillan nahm der verstörten Susan die Antwort ab. »Vielen Dank, Sir, für Ihre ebenso taktvolle wie kameradschaftliche Auskunft. Wir haben unsere eigene Meinung über Mr. Winter und werden uns weiterhin unser eigenes Urteil bilden.«
Sie nahm Susan und wandte sich mit jener hoheitsvollen Gebärde von Mr. Marsh ab, die jahrelange
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