Der Junge
Alberts, der Nigrinis, der verschiedenen Zweige der Botes-Familie – wer wen heiraten wird, wessen Schwiegermutter welche Operation durchmachen wird, wessen Sohn in der Schule gut ist, wessen Tochter in Schwierigkeiten steckt, wer wen besucht hat, wer was wann angehabt hat.
Aber mit Ros und Freek hat er mehr Umgang. Er brennt vor Neugier, was ihre Lebensumstände angeht. Tragen sie wie weiße Leute Unterhemd und Unterhose? Haben sie jeder sein eigenes Bett? Schlafen sie nackt oder in den Arbeitsklamotten, oder haben sie Schlafanzüge? Essen sie richtige Mahlzeiten, am Tisch sitzend mit Messer und Gabel?
Er kann diese Fragen nicht beantworten, denn man hält ihn davon ab, ihre Häuser zu besuchen. Das wäre unhöflich, sagt man ihm – unhöflich, weil es Ros und Freek peinlich wäre.
Wenn es nicht peinlich ist, daß Ros’ Frau und Tochter im Haus arbeiten, möchte er fragen, daß sie Essen kochen, Wäsche waschen, Betten machen, warum ist es dann peinlich, sie in ihrem Haus zu besuchen?
Es klingt einleuchtend, hat aber einen Schönheitsfehler, wie er weiß. Denn in Wahrheit ist es peinlich, Tryn und Lientjie im Haus zu haben. Es gefällt ihm nicht, wenn er an Lientjie im Korridor vorbeigeht und sie so tun muß, als sei sie unsichtbar, und er so tun muß, als sei sie Luft. Es gefällt ihm nicht, wenn er Tryn auf den Knien vor dem Waschzuber antrifft, wie sie seine Sachen wäscht. Er weiß nicht, wie er ihr antworten soll, wenn sie ihn in der dritten Person anspricht und ihn kleinbaas nennt, den kleinen Herrn, als wäre er nicht selbst anwesend.
Das alles ist äußerst peinlich.
Mit Ros und Freek ist es einfacher. Doch selbst mit ihnen muß er in gequält konstruierten Sätzen sprechen, um sie nicht mit jy anzureden, wenn sie ihn kleinbaas nennen. Er weiß nicht genau, ob Freek als Mann oder als Junge gilt, ob er sich lächerlich macht, wenn er Freek als Mann behandelt. Bei den Farbigen im allgemeinen, und bei den Menschen in der Karoo im besonderen, weiß er einfach nicht, wann die Kindheit aufhört und sie Männer und Frauen werden. Es scheint so früh und plötzlich zu geschehen – eben noch haben sie mit Spielsachen gespielt, da sind sie schon am nächsten Tag mit den Männern draußen bei der Arbeit, oder sie waschen in der Küche von irgendwelchen Leuten das Geschirr ab.
Freek ist freundlich und spricht leise. Er besitzt ein Fahrrad mit dicken Reifen und eine Gitarre; abends sitzt er draußen vor seinem Zimmer, spielt für sich auf seiner Gitarre und lächelt sein ziemlich abwesendes Lächeln. An Samstagnachmittagen radelt er zur Siedlung bei Fraserburg Road und bleibt dort bis Sonntagabend. Er kommt erst lange nach Einbruch der Dunkelheit zurück – in meilenweiter Entfernung können sie den winzigen, schwankenden Lichtfleck seiner Fahrradlampe sehen. Es erscheint ihm heldenhaft, eine so gewaltige Entfernung mit dem Fahrrad zurückzulegen. Er würde Freek als Helden verehren, wenn das gestattet wäre.
Freek ist Knecht, er bekommt Lohn, man kann ihm kündigen und ihn fortschicken. Und trotzdem, wenn er Freek da kauern sieht, die Pfeife im Mund in das Veld hinausstarrend, scheint ihm, daß Freek mit größerer Sicherheit hierher gehört als die Coetzees – wenn nicht nach Voelfontein, dann in die Karoo.
Die Karoo ist Freeks Land, seine Heimat; die Coetzees, auf der Veranda des Farmhauses Tee trinkend und schwatzend, sind wie Schwalben, Zugvögel, heute hier, morgen fort, oder sogar wie Spatzen, tschilpend, flink, kurzlebig.
Das Beste an der Farm, das Allerbeste, ist die Jagd. Der Onkel besitzt nur ein Gewehr, eine schwere Lee-Enfield Kaliber .303 mit Munition, zu groß für jegliches Wild (einmal hat der Vater damit einen Hasen geschossen, und es war nichts von ihm übriggeblieben außer blutigen Fetzen). Wenn sie also die Farm besuchen, borgen sie sich von einem der Nachbarn ein altes Gewehr Kaliber .22. Es faßt eine einzelne Patrone, die man direkt in den Verschluß des Hinterladers schiebt; manchmal versagt es, und ihm klingen stundenlang danach die Ohren. Es gelingt ihm nicht, mit diesem Gewehr irgend etwas anderes zu treffen als Frösche im Wasserreservoir und muisvoels, Mausvögel, im Obstgarten. Doch das Leben ist für ihn nie intensiver als in den frühen Morgenstunden, wenn er und der Vater mit ihren Gewehren losziehen, im trockenen Bett des Boesmansflusses auf der Suche nach Wild: Steenbok, Waldducker, Hasen und an den kahlen Berghängen korhaan,
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