Der Junge
Mauern begeben haben mußten. Er versucht, ein Bild von Voelfontein heraufzubeschwören, wie es gewesen sein muß, als sich das große Haus und die Nebengebäude und Krale noch im Bau befanden – ein Ort geduldiger, ameisengleicher Arbeit, Jahr um Jahr. Jetzt sind die Schakale, die einst die Schafe gerissen haben, ausgerottet, erschossen oder vergiftet, und die Krale, nun ohne Zweck, verfallen langsam.
Die Mauern der Krale schlängeln sich meilenweit bergauf, bergab. Hier wächst nichts – die Erde ist festgetrampelt und für immer abgetötet, er weiß nicht, wie; sie hat ein fleckiges, ungesundes, gelbes Aussehen. Sobald er innerhalb der Mauern steht, ist er vom Rest der Welt abgeschnitten, außer vom Himmel. Alan hat ihn davor gewarnt hierherzukommen, wegen der Schlangengefahr, weil niemand ihn hören wird, wenn er um Hilfe ruft. Schlangen genießen solche heißen Nachmittage, ist er gewarnt worden, sie kommen aus ihren Verstecken – die Ringhalskobra, die Puffotter, die Sandrenn-Natter –, um ein Sonnenbad zu nehmen und ihr kaltes Blut zu wärmen.
Auf eine Schlange ist er in den Kralen noch nicht gestoßen; trotzdem sieht er sich bei jedem Schritt vor.
Freek überrascht hinter der Küche, wo die Frauen die Wäsche aufhängen, eine Sandrenn-Natter. Er erschlägt sie mit einem Stock und drapiert den langen, gelben Körper über einen Busch. Wochenlang wollen die Frauen dort nicht hingehen.
Schlangen gehen lebenslange Verbindungen ein, sagt Tryn; wenn man das männliche Tier tötet, kommt das weibliche und sinnt auf Rache.
Der Frühling, der September, ist die beste Zeit für einen Besuch in der Karoo, obwohl die Schulferien nur eine Woche dauern. Als eines Tages im September die Schafscherer kommen, sind sie gerade auf der Farm. Sie tauchen aus dem Nichts auf, wilde Männer auf Fahrrädern, bepackt mit Bettrollen, Töpfen und Pfannen.
Schafscherer, entdeckt er, sind besondere Leute. Wenn sie auf der Farm auftauchen, ist das ein glücklicher Umstand. Um sie zu halten, wird ein fetter Hammel ausgesucht und geschlachtet. Sie ergreifen Besitz vom alten Stall, den sie in ihre Unterkunft verwandeln. Ein Feuer brennt bis spät in die Nacht, während sie schmausen.
Er hört eine lange Diskussion zwischen Onkel Son und ihrem Anführer mit an; einem so dunklen und wilden Mann, daß er fast ein Farbiger sein könnte. Er hat einen Spitzbart, und seine Hose hält ein Strick fest. Sie unterhalten sich über das Wetter, über den Zustand des Weidelandes im Prince-Albert-Bezirk, im Beaufort-Bezirk, im Fraserburg-Bezirk, über Löhne. Das von den Scherern gesprochene Afrikaans hat einen so ausgeprägten Akzent, steckt so voll seltsamer Redewendungen, daß er es kaum verstehen kann. Woher kommen sie? Gibt es ein noch tiefer im Inneren gelegenes Land als das von Voelfontein, ein Herzland, das noch abgeschiedener von der Welt ist?
Am nächsten Morgen wird er eine Stunde vor Tagesanbruch von Hufgetrappel geweckt, als die ersten Schaftrupps am Haus vorbeigetrieben werden, um in den Kralen neben dem Schurschuppen eingepfercht zu werden. Der Haushalt beginnt zu erwachen. In der Küche gibt es Getriebe und Kaffeeduft.
Mit dem ersten Tageslicht ist er draußen, angezogen, zu aufgeregt zum Essen.
Er wird mit einer Aufgabe betraut. Er hat die Verfügungsgewalt über einen Zinnbecher voll getrockneter Bohnen. Wenn der Scherer mit einem Schaf fertig ist und es mit einem Schlag aufs Hinterteil freigibt, wenn er die geschorene Wolle auf den Sortiertisch wirft und das Schaf, rosa und nackt und blutend, wo die Schere es gezwickt hat, ängstlich in die zweite Pferch trabt – dann darf der Scherer jedesmal eine Bohne aus dem Becher nehmen, was er mit einem Kopfnicken und einem höflichen »My basie!« tut.
Als er das Halten des Bechers satt hat (die Scherer können sich ihre Bohnen allein nehmen, sie sind auf dem Lande aufgewachsen und Unehrlichkeit ist ihnen völlig fremd), helfen er und sein Bruder beim Stopfen der Ballen und springen auf der dicken, heißen, öligen Wollmasse herum. Auch seine Cousine Agnes ist da, zu Besuch aus Skipperskloof. Sie und ihre Schwester machen mit; die vier purzeln durcheinander, kichern und tollen herum wie in einem riesigen Federbett.
Agnes nimmt einen Platz in seinem Leben ein, den er noch nicht völlig versteht. Er hat sie zum erstenmal zu Gesicht bekommen, als er sieben war. Sie waren nach Skipperskloof eingeladen worden und kamen dort spät am Nachmittag nach
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