Der Junker von Ballantrae
überhaupt nicht um Gerüchte und brachte ihnen keinerlei Interesse entgegen, wenn man sie ihr zutrug.
Als die Empörung ihren Höhepunkt erreicht hatte (später verringerte sie sich, und niemand wußte warum), fand eine Wahl statt in der Stadt St. Bride, die ganz nahe bei Durrisdeer liegt, am Swiftsee. Irgendeine Unruhe machte sich unter den Leuten bemerkbar, aber ich vergaß, was es war, wenn ich es jemals gewußt habe. Man erzählte allgemein, es würde vor Anbruch der Nacht blutige Köpfe geben, der Sheriff habe sogar Soldaten angefordert von Dumfries. Der alte Lord war dafür, daß Mr. Henry anwesend sein solle, er stellte ihm vor, es sei notwendig für das Ansehen des Hauses, sich einmal wieder zu zeigen. »Man wird bald behaupten«, sagte er, »daß wir die Führung in unserem Gebiete verlieren.«
»Eine merkwürdige Führung, die ich übernehmen soll«, sagte Mr. Henry, und als sie ihn um eine Erklärung baten, fügte er hinzu: »Ich will euch die volle Wahrheit sagen, ich darf mein Gesicht draußen nicht blicken lassen.«
»Du bist der erste dieses Hauses, der das sagt«, rief Miß Alison.
»Wir wollen alle drei gehen«, sagte der alte Lord, und tatsächlich zog er seine Stiefel an, das erstemal seit vier Jahren, und ein schwieriges Geschäft für John Paul. Miß Alison erschien im Reitkleid, und alle drei machten sich auf den Weg nach St. Bride.
Die Straßen waren voll vom Pöbel aus der ganzen Gegend. Kaum hatten die Leute Mr. Henry erblickt, als sie zu zischen begannen. Dann fingen sie an zu brüllen, und man hörte Schreie wie Judas! und »Wo ist der Junker?« und »Wo sind die armen Kerle, die mit ihm hinausritten?« Selbst ein Stein wurde geschleudert, aber die meisten verurteilten das, zum Glück für den alten Lord und Miß Alison. Nach zehn Minuten wußte der Lord, daß Mr. Henry recht gehabt hatte. Er sagte kein Wort, warf sein Pferd herum und ritt heim, das Kinn auf der Brust. Auch Miß Alison sprach nicht. Ohne Zweifel dachte sie aber um so mehr nach, und ohne Zweifel war ihr Stolz verletzt, denn sie war eine gebürtige Durie, und ebenso gewiß rührte es an ihr Herz, ihren Vetter so unwürdig behandelt zu sehen. In jener Nacht legte sie sich nicht schlafen. Ich habe meine Lady oft getadelt. Aber wenn ich mich jener Nacht erinnere, verzeihe ich ihr gern alles. Am nächsten Morgen kam sie in aller Frühe zum alten Lord, der an seinem gewohnten Platz saß.
»Wenn Henry mich noch will«, sagte sie, »kann er mich jetzt haben.« Zu Henry selbst redete sie anders:»Ich bringe dir keine Liebe entgegen, Henry, aber, Gott weiß es, alles Mitleid der Welt.«
Der erste Juni 1748 war der Tag ihrer Hochzeit. Im Dezember desselben Jahres langte ich an den Toren des großen Hauses zum erstenmal an, und von diesem Zeitpunkt an berichte ich über die Ereignisse, die unter meinen eigenen Augen geschahen, wie ein Zeuge vor Gericht.
Zweites Kapitel: Die Ereignisse während der Irrfahrten des Junkers (Fortsetzung)
Ich vollendete meine Reise gegen Ende eines kalten Dezembermonats. Es war harter, trockener Frost, und wer sollte mein Führer sein, wenn nicht Patey Macmorland, der Bruder Tams! Er war ein strohköpfiger, barfüßiger Bursche von zehn Jahren und schwätzte mehr üble Dinge, als ich sonst jemals gehört habe, weil er schon beizeiten aus dem Faß seines Bruders geschöpft hatte. Ich war selbst noch nicht sehr alt, der Stolz hatte noch nicht die Überhand gewonnen über die Neugier, und wahrscheinlich hätte jedermann interessiert gelauscht, wenn er an jenem kalten Morgen das ganze Geklatsch der Gegend gehört hätte und ihm alle Plätze gezeigt worden wären, an denen sonderbare Dinge geschehen waren. Als wir durch die Moore gingen, hörte ich Erzählungen von Claverhouse, und als wir auf der Höhe der Klippen waren, Geschichten vom Teufel. Bei der Abtei vernahm ich manches von den alten Mönchen und mehr noch von den Schmugglern, die die Ruinen als Lagerplatz benutzen und deshalb inSchußweite von Durrisdeer an Land gehen. Die Duries und der arme Mr. Henry wurden bei jeder Verleumdung an erster Stelle genannt. So war mein Geist mit Vorurteilen beladen gegen die Familie, in deren Dienst ich treten sollte, und ich war fast überrascht, als ich Durrisdeer selbst sah, das an einer schönen, geschützten Bucht liegt, zu Füßen des Abteihügels. Das Haus ist geräumig nach französischer oder vielleicht italienischer Art gebaut, ich verstehe nichts von dieser Kunst. Das Besitztum ist von Gärten,
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