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Der Junker von Ballantrae

Titel: Der Junker von Ballantrae Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
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machen, denn ich habe noch vieles auf dem Herzen, was ich Ihnen sagen muß«, erwiderte ich. »Sie sind nicht nachsichtig gewesen, Sie sind von einem satanischen Heuchler hinters Licht geführt worden. Sie haben selbst festgestellt, wie er Sie mit der Vorspiegelung der Lebensgefahr täuschte. Er hat Sie während seines ganzen Lebens hintergangen. Ich möchte ihn aus ihrem Herzen reißen, ich möchte Ihnen die Augen öffnen über Ihren anderen Sohn, ach, dort haben Sie wirklich einen Sohn!«
    »Nein, nein«, sagte er, »zwei Söhne, ich habe zwei Söhne.«
    Ich machte eine Gebärde der Verzweiflung, die ihn überraschte. Er sah mich mit verändertem Gesicht an. »Ist mir noch viel Schlimmes verborgen?« fragte er, und seine Stimme starb ab, wie sie sich zu Beginn der Frage gehoben hatte.
    »Viel Schlimmes«, antwortete ich. »Heute nacht sprach er zu Mr. Henry diese Worte: ›Ich habe nie ein Weib gekannt, das mich nicht dir vorgezogen hätte und, so glaube ich, das nicht fortgefahren hätte mich vorzuziehen.‹«
    »Ich wünsche nichts gegen meine Tochter zu hören«, rief der Lord, und aus der Raschheit, mit der er mich in dieser Beziehung unterbrach, schließe ich, daß sein Blick nicht so unachtsam war, wie ich geglaubt hatte, und daß er nicht ohne Sorge die Bedrängung von Mrs. Henry beobachtet hatte.
    »Ich denke nicht daran, Sie zu tadeln«, rief ich aus. »Das ist es nicht. Diese Worte wurden in meiner Gegenwart zu Mr. Henry gesprochen, und wenn Sie sie noch nicht deutlich genug finden, hören Sie die anderen, die bald danach gesprochen wurden: ›Dein Weib, das in mich verliebt ist.‹«
    »Sie haben sich gestritten?« fragte er.
    Ich nickte.
    »Ich muß zu ihnen eilen«, sagte er und versuchte von neuem, das Bett zu verlassen.
    »Nein, nein!« rief ich und streckte meine Hände aus.
    »Sie verstehen das nicht«, sagte er, »das sind gefährliche Worte.«
    »Können Sie denn nicht verstehen, mein Lord?« sagte ich. Seine Augen flehten mich um Wahrheit an.
    Ich warf mich neben dem Bett auf die Knie nieder. »Oh, mein Lord«, rief ich, »denken Sie an ihn, der Ihnen geblieben ist, denken Sie an diesen armen Sünder, den Sie zeugten, den Ihr Weib Ihnen gebar, den wir alle nicht so unterstützt haben, wie wir sollten! Denken Sie an ihn, nicht an sich selbst, denken Sie an seine Qualen, an ihn! Das Tor des Leidens ist das Tor Christi, Gottes Tor: ach! es steht offen. Denken Sie an ihn, wie er an Sie gedacht hat. Seine Worte waren: Wer soll es dem alten Herrn sagen? Deshalb bin ich zu Ihnen gekommen, deshalb liege ich zu Ihren Füßen und flehe Sie an.«
    »Ich will aufstehen!« rief er, drängte mich zur Seite und war vor mir auf den Beinen. Seine Stimme flatterte wie ein Segel im Winde, aber er sprach deutlich und laut; sein Gesicht war weiß wie Schnee, aber seine Augen waren ruhig und trocken. »Hier wird zuviel geredet«, sagte er. »Wo ist es geschehen?«
    »Im Gehölz«, sagte ich.
    »Und Mr. Henry?« fragte er.
    Als ich ihm alles erzählte, legte er sein altes Gesicht nachdenklich in Falten.
    »Und Mr. James?« sagte er.
    »Ich habe ihn neben den Kerzen liegen lassen«, sagte ich.
    »Kerzen?« rief er aus. Und damit rannte er zum Fenster, öffnete es und schaute hinaus. »Man könnte alles vom Wege aus sehen.«
    »Dort geht zu dieser Stunde niemand vorüber«, warf ich ein.
    »Das tut nichts«, sagte er, »es könnte sein. Hören Sie!« rief er aus. »Was ist das?«
    Es war das Geräusch von Leuten, die sehr vorsichtig in der Bucht ruderten, und ich sagte es ihm.
    »Die Schmuggler«, sagte der Lord. »Laufen Sie sogleich, Mackellar, und löschen Sie diese Kerzen aus. Ich will mich inzwischen anziehen, und wenn Sie zurückkommen, wollen wir überlegen, was das klügste ist.«
    Ich tastete mich die Treppe hinunter und zur Tür hinaus. Von weither war ein Lichtschein sichtbar, der helle Flecke im Gehölz verbreitete. In einer so finsteren Nacht hätte man ihn meilenweit sehen können, und ich tadelte mich bitter wegen meiner Unvorsichtigkeit. Um wieviel schärfer aber, als ich den Platz erreichte! Einer der Leuchter war umgeworfen und das Licht erloschen. Das andere brannte ruhig weiter und ließ einen breiten Lichtschein auf den gefrorenen Boden fallen. In diesem Umkreis erschien alles durch die Kraft des Kontrastes und die Finsternis ringsumher heller als bei Tageslicht. In der Mitte war die Blutlache, und ein wenig weiter lag das Schwert Mr. Henrys, dessen Knauf aus Silber war; aber vom Körper keine Spur.

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