Der Junker von Ballantrae
ihn an.
»Lord Durrisdeer«, sagte ich, »es ist Ihnen hinreichend bekannt, daß ich Partei bin in Ihrer Familie.«
»Ich hoffe, keiner von uns ist parteilich«, sagte er. »Daß Sie meinen Sohn aufrichtig lieben, habe ich stets freudig wahrgenommen.«
»Oh, mein Lord, die Stunde solcher Höflichkeiten ist vorüber«, antwortete ich. »Wenn wir aus diesem Feuer etwas retten wollen, müssen wir den Tatsachen ins Auge schauen. Ich bin Partei, parteilich sind wir alle gewesen, und in meiner Parteilichkeit stehe ich mitten in der Nacht vor Ihnen, um Sie anzuflehen. HörenSie mich an, bevor ich gehe, werde ich Ihnen sagen, warum.«
»Ich würde Sie stets anhören, Mr. Mackellar«, sagte er, »und zwar zu jeder Stunde, Tag und Nacht, denn ich wüßte stets, daß Sie einen Grund hätten. Einmal haben Sie sehr zweckdienlich gesprochen, ich habe das nicht vergessen.«
»Ich bin hier, um die Sache meines Gönners zu vertreten«, sagte ich. »Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie er zu handeln pflegt. Sie wissen, wie seine Lage war. Sie wissen, mit welcher Großzügigkeit er stets Ihren andern – Ihren Wünschen begegnete«, verbesserte ich mich, da ich über das Wort »Sohn« stolperte. »Sie wissen – Sie müssen es wissen, was er litt – was er wegen seiner Frau litt.«
»Mr. Mackellar!« rief der Lord und richtete sich in seinem Bett wie ein Löwe mit gesträubter Mähne auf.
»Sie haben gesagt, daß Sie mich anhören wollen«, fuhr ich fort. »Was Sie nicht wissen, aber wissen sollen, eines der Dinge, von denen ich sprechen will, ist die Verfolgung, die er im geheimen ertragen mußte. Sie hatten Ihren Rücken kaum gewandt, als jemand, dessen Namen ich nicht zu nennen wage, mit rücksichtslosesten Beleidigungen über ihn herfiel. Er warf ihm – verzeihen Sie mir, mein Lord –, er warf ihm Ihre Parteilichkeit vor, nannte ihn Jakob, nannte ihn Trottel, verfolgte ihn mit beißendem Spott, den kein Mann ertragen hätte. Und sobald jemand erschien, wandelte er sich sofort, und mein Herr mußte dem Menschen zulächeln und höflich gegen ihn sein, der ihn soeben mitBeleidigungen überhäuft hatte. Ich weiß es, denn ich habe vieles gehört, und ich erkläre, daß dies Leben unerträglich war. Die ganzen Monate hat es angehalten, es begann mit der Landung dieses Menschen, mit dem Namen Jakob wurde mein Herr am ersten Abend begrüßt.«
Der alte Lord machte eine Bewegung, als wolle er die Decken abwerfen und aufstehen. »Wenn das wahr wäre –«, sagte er.
»Sehe ich aus wie ein Lügner?« unterbrach ich ihn und hielt ihn mit meiner Hand zurück.
»Sie hätten es mir sofort sagen sollen«, sagte er.
»Ach, mein Lord, ja, ich hätte es tun sollen, und nun mögen Sie das Gesicht dieses ungetreuen Dieners hassen!« rief ich aus.
»Ich werde sofort Ordnung schaffen«, sagte er, und wieder machte er eine Bewegung, als wolle er aufstehen.
Wieder hielt ich ihn zurück. »Ich habe es nicht getan«, sagte ich. »Wollte Gott, ich hätte gesprochen! Alles das hat mein teurer, unglücklicher Gönner ohne Hilfe und Unterstützung ertragen. Ihre eigenen Worte, mein Lord, waren im besten Falle solche der Dankbarkeit. Ach, auch er war Ihr Sohn! Er hatte keinen anderen Vater. Draußen im Lande war er verhaßt, und Gott weiß, mit wieviel Ungerechtigkeit. Er führte eine lieblose Ehe. Nirgendwo fand er Liebe oder Hilfe – dies große, edelmütige, unglückliche, adlige Herz!«
»Ihre Tränen ehren Sie und beschämen mich«, sagte der Lord, und er zitterte in seiner Gichtbrüchigkeit. »AberSie tun mir doch unrecht. Henry ist mir immer lieb gewesen, sehr lieb. James – ich leugne es nicht, Mr. Mackellar – James ist mir vielleicht lieber. Sie haben meinen James nicht in ganz günstigem Licht gesehen, er hat unter seinen Schicksalsschlägen gelitten, und wir wollen uns stets daran erinnern, wie heftig und unverdient sie waren. Und selbst jetzt ist er die liebenswürdigere Natur. Aber ich will nicht von ihm sprechen. Alles, was Sie von Henry sagen, ist durchaus richtig. Ich wundere mich nicht darüber, ich weiß, daß er sehr hochherzig ist, aber Sie werden sagen, daß ich seinen Charakter mißbrauchen ließ. Es ist möglich, es gibt gefährliche Tugenden, Tugenden, die den Gegner reizen. Mr. Mackellar, ich werde alles wieder gutmachen, ich werde alles das in Ordnung bringen. Ich bin nachsichtig gewesen, und, was schlimmer ist, ich bin unaufmerksam gewesen.«
»Mein Lord, ich will nicht hören, daß Sie sich selbst Vorwürfe
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