Der Junker von Ballantrae
Schmerz gestürzt waren, war es sonderbar, wie wir uns diesen abstrakten Vorstellungen von der Familie zuwandten und das in der Luft schwebende Nichts ihres Rufes zu stützen trachteten – nicht nur die Duries selbst, sondern auch der bezahlte Angestellte.
»Sollen wir es Mr. Henry erzählen?« fragte ich ihn.
»Ich werde sehen«, sagte er, »ich werde zunächst ihn aufsuchen und dann mit Ihnen das Gehölz besichtigen, um alles zu überlegen.«
Wir gingen hinunter in die Halle. Mr. Henry saß am Tisch, den Kopf auf die Hand gelegt wie ein Mann von Stein. Seine Frau stand ein wenig hinter ihm, ihre Hand am Mund. Offenbar konnte sie ihn nicht wecken. Der alte Lord ging mit festen Schritten auf seinen Sohn zu, er war sehr gefaßt, aber, wie mir schien, ein wenig kaltherzig. Als er vor ihm stand, streckte er beide Hände aus und sagte: »Mein Sohn!«
Mit einem gebrochenen, heiseren Schrei sprang Mr. Henry auf und fiel seinem Vater jammernd und weinend um den Hals, der bemitleidenswerteste Anblick, den jemals ein Mensch erlebte. »Ach, Vater!« rief er aus. »Du weißt, daß ich ihn liebte; du weißt, daß ich ihn früher liebte; ich hätte für ihn sterben können – du weißt es! Ich hätte mein Leben für ihn und dich hingeben können. Ach! sag, daß du es weißt. Ach! sag, daß du mir verzeihen kannst. Ach! Vater, Vater, was habe ich getan, was habe ich getan? Einst haben wir als Kinder miteinander gespielt!« Er weinte und seufzte, streichelte den alten Mann und umarmte seine Schultern mit der Leidenschaft eines erschrockenen Kindes.
Und dann erblickte er plötzlich sein Weib, als wäre es das erstemal, wie sie weinend dastand und ihn anhörte, und im nächsten Augenblick lag er zu ihren Füßen.
»Und du, mein Mädel«, rief er aus, »auch du mußt mir verzeihen! Nicht dein Gatte bin ich gewesen, sondern nur der Ruin deines Lebens. Du kanntest mich, als ich ein Junge war, damals war Henry Durie ohne Falsch, er wollte dein Freund sein. Hier bin ich, der alteSpielkamerad, ach, ach, kannst du mir nie, nie verzeihen?«
Währenddessen schien der alte Lord wie ein kalter, liebenswürdiger Zuschauer, der alle Sinne beieinander hat.
Beim ersten Aufschrei, der in der Tat genügt hätte, das ganze Haus um uns zu versammeln, hatte er mir über die Schulter weg gesagt: »Schließen Sie die Tür!« Und jetzt nickte er vor sich hin.
»Wir können ihn nun seiner Frau überlassen«, sagte er. »Bringen Sie ein Licht, Mr. Mackellar.«
Als ich mit dem alten Lord nun wieder hinausschritt, bemerkte ich eine sonderbare Erscheinung, denn obgleich es ganz dunkel und die Nacht noch nicht zu Ende war, glaubte ich den Morgen zu riechen. Gleichzeitig erhob sich ein Rauschen in den Zweigen der immergrünen Sträucher, so daß sie raunten wie eine leicht bewegte See.
Die Luft wehte in Abständen gegen unser Gesicht, und die Flamme der Kerze flackerte. Ich glaube, wir beeilten uns, weil wir von diesem Geräusch umgeben waren. Wir suchten den Duellplatz auf, wo der Lord mit stoischer Ruhe das Blut betrachtete, traten dann näher an den Landungsplatz heran und entdeckten schließlich einige Anzeichen der Wahrheit. Denn erstens war das Eis dort, wo ein kleiner Graben den Weg querte, offenbar unter dem Gewicht mehrerer Männer eingebrochen; dann, ein wenig weiter, war ein junger Zweig geknickt, und unten am Landungsplatz, wo die Boote der Händler gewöhnlich an Land gezogen wurden,bezeichnete ein frischer Blutfleck den Platz, wo der Körper ohne Zweifel niedergelegt worden war, damit die Träger sich ausruhen konnten.
Wir machten uns daran, diesen Blutfleck mit Seewasser, das wir im Hut des Lords herbeitrugen, fortzuwaschen, und als wir damit beschäftigt waren, erhob sich plötzlich ein stöhnender Windstoß, der uns sofort in Finsternis hüllte.
»Es wird Schnee fallen«, sagte der Lord, »und das ist das beste, was wir erhoffen können. Lassen Sie uns jetzt zurückkehren, wir können im Dunkeln nichts weiter unternehmen.«
Als wir dem Haus zuschritten, hatte sich der Wind wieder gelegt, und wir hörten über uns in der Nacht ein starkes plätscherndes Geräusch. Sobald wir den Schutz der Bäume verließen, stellten wir fest, daß es stark regnete.
Während der ganzen Zeit hatte der Lord zu meinem Erstaunen die Klarheit seines Geistes nicht minder bewahrt als die Lebendigkeit seines Körpers. Dem allem setzte er die Krone auf während der Beratung, die wir nach unserer Rückkehr abhielten. Die Schmuggler hatten den Junker
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