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Der Junker von Ballantrae

Titel: Der Junker von Ballantrae Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
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als ob er sich nicht erinnern könne. Dann drehte er sich um und rannte mit sonderbar taumelnden Schritten auf Durrisdeer zu.
    Ich stand einen Augenblick verwirrt da, dann aber schien es mir, meine Pflicht sei ganz selbstverständlich auf seiten der Lebenden, und lief hinter ihm her, indem ich die Kerzen auf dem gefrorenen Boden zurückließ, wo der Körper in ihrem Licht unter den Bäumen lag. Aber so sehr ich auch rannte, er war zu weit voraus und schon im Haus und in der Halle, wo ich ihn vor dem Kamin stehen sah, das Gesicht wieder in den Händen, und wie er so dastand, zitterte er sichtlich.
    »Mr. Henry, Mr. Henry«, sagte ich, »das wird uns alle zugrunde richten.«
    »Was habe ich getan?« rief er, und dann sagte er mit einem Ausdruck, den ich nie vergessen werde: »Wer soll es dem alten Lord sagen?«
    Dies Wort traf mein Herz, aber für Weichmütigkeit war jetzt keine Zeit. Ich schenkte ihm ein Glas Brandy ein. »Trinken Sie, trinken Sie das, trinken Sie es hinunter.« Ich zwang ihn wie ein Kind zum Trinken, und da ich von der Kälte der Nacht noch erschauerte, folgte ich seinem Beispiel.
    »Es muß ihm gesagt werden, Mackellar«, sagte er, »es muß gesagt werden.« Und er fiel plötzlich zurück in einen Sessel – in den Sessel meines alten Lords zur Seite des Kamins – und brach in heiße Tränen aus.
    Verzweiflung bestürmte meine Seele, es wurde mir klar, daß ich von Mr. Henry keine Unterstützung zu erwarten hatte. »Nun gut«, sagte ich, »bleiben Sie hier sitzen und überlassen Sie alles mir.« Ich nahm eine Kerze in die Hand und ging aus der Halle in das finstere Haus. Nichts regte sich, ich durfte vermuten, daß alles unbeachtet geblieben war, und ich überlegte mir, wie alles andere nun auch mit derselben Heimlichkeit erledigt werden müßte. Es war keine Zeit zu Bedenklichkeiten, ich öffnete die Tür der Dame des Hauses, ohne anzuklopfen, und trat kühn ein.
    »Es ist ein Unglück geschehen«, schrie sie und richtete sich im Bett auf.
    »Gnädige Frau«, sagte ich, »ich werde wieder auf den Gang hinaustreten, und Sie müssen sich so rasch wie möglich anziehen. Es muß viel geschehen.«
    Sie stellte mir keine Fragen, noch hielt sie mich auf. Bevor ich Zeit hatte, mir meine Worte zu überlegen, stand sie auf der Schwelle und gab mir ein Zeichen, einzutreten.
    »Gnädige Frau«, sagte ich, »wenn Sie nicht sehr tapfer sein können, muß ich mich anderswohin wenden, denn wenn mir heute nacht niemand hilft, bricht das Haus Durrisdeer zusammen.«
    »Ich bin sehr mutig«, sagte sie, und sie sah mich mit einem Lächeln an, das sehr qualvoll war, aber auch sehr tapfer.
    »Es ist zu einem Duell gekommen«, sagte ich.
    »Ein Duell?« wiederholte sie. »Ein Duell? Henry und –«
    »Und der Junker«, antwortete ich. »Dinge haben sich angehäuft, Dinge, von denen Sie nichts wissen, die Sie nicht glauben würden, wenn ich sie Ihnen erzählte. Aber heute nacht ging es zu weit, und als er Sie beleidigte –«
    »Halt!« rief sie. »Er? Wer?«
    »Oh! gnädige Frau«, rief ich, und meine Bitterkeit kam zum Durchbruch, »solche Frage richten Sie an mich? Dann muß ich mich wirklich anderswo nach Hilfe umsehen, hier finde ich keine!«
    »Ich weiß nicht, wodurch ich Sie beleidigt habe«, sagte sie. »Verzeihen Sie mir, nehmen Sie diese Ungewißheit von mir.«
    Aber ich wagte nicht, ihr jetzt schon alles zu erzählen, ich war ihrer nicht sicher, und in diesem Zweifel und im Gefühl der Ohnmacht, die er mit sich brachte, wandte ich mich dem armen Weibe fast mit Zorn zu.
    »Gnädige Frau«, sagte ich, »wir reden von zwei Männern: der eine von ihnen beleidigte Sie, und Sie fragen mich, wer es war. Ich werde Ihnen helfen, die Antwort zu finden. Mit einem dieser Männer habenSie alle Ihre Stunden verbracht: hat der andere Sie jemals getadelt? Dem einen gegenüber waren Sie immer liebenswürdig, dem andern gegenüber nicht immer, wie ich glaube, und so wahr Gott mich sieht und zwischen uns beiden richtet: hat seine Liebe Sie je verlassen? Heute nacht sagte der eine dieser beiden Männer in meiner Gegenwart – in der Gegenwart eines bezahlten Fremden – zu dem anderen, daß Sie ihn lieben. Bevor ich ein weiteres Wort sage, sollen Sie mir Ihre eigene Frage beantworten: Welcher von beiden war es? Nein, gnädige Frau, Sie sollen mir eine andere Frage beantworten: Wenn es zu diesem furchtbaren Ende gekommen ist, wessen Schuld ist es?«
    Sie starrte mich verwirrt an. »Guter Gott!« sagte sie dann, und es klang wie

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