Der Junker von Ballantrae
ein zäher Ausruf, und dann ein zweites Mal flüsternd zu sich selbst: »Großer Gott! Im Namen der Barmherzigkeit, Mackellar, was ist geschehen?« rief sie aus. »Ich bin gefaßt, ich kann alles hören.«
»Sie sind nicht bereit zu hören«, antwortete ich. »Was auch immer geschehen sein mag, Sie sollen zunächst sagen, daß es Ihre Schuld ist.«
»Oh!« rief sie aus und rang die Hände. »Dieser Mann macht mich wahnsinnig! Können Sie mich nicht aus Ihren Gedanken ausschalten?«
»Ich denke durchaus nicht an Sie«, rief ich, »ich denke an niemand als an meinen teuren, unglücklichen Herrn.«
»Ah!« schrie sie und führte die Hand ans Herz. »Ist Henry tot?«
»Sprechen Sie leiser«, sagte ich. »Der andere.«
Ich sah sie in sich zusammensinken wie einen Halm, der vom Winde niedergedrückt wird, und ich wandte mich ab und blickte zu Boden, ich weiß nicht, ob aus Feigheit oder Mitleid. »Es sind furchtbare Ereignisse«, sagte ich schließlich, als ihr Schweigen meine Furcht erregte. »Sie und ich müssen tapferer sein, wenn das Haus gerettet werden soll.«
Noch immer antwortete sie nicht. »Außerdem ist Miß Katharine noch da«, fügte ich hinzu, »und wenn wir die Angelegenheit nicht in Ordnung bringen, wird ihr Erbteil wahrscheinlich die Schande sein.«
Ich weiß nicht, ob der Gedanke an das Kind oder das nackte Wort Schande sie aus der Erstarrung befreite; jedenfalls hatte ich kaum geendet, als ein Laut über ihre Lippen kam, wie ich ihn zuvor nie gehört habe. Es war, als ob sie unter einem Hügel begraben läge und nun versuchte, die Last zu bewegen. Und im nächsten Augenblick fand sie ihre Stimme allmählich wieder.
»Es war ein Kampf?« flüsterte sie. »Es war kein –?« Und sie sprach das Wort nicht aus.
»Von der Seite meines Herrn war es ehrlicher Kampf«, sagte ich. »Was den andern betrifft, so wurde er erschlagen, als er gerade einen verächtlichen Streich versuchte.«
»Jetzt nicht!« rief sie.
»Gnädige Frau«, sagte ich, »Haß gegen diesen Menschen glüht in meinem Herzen wie brennendes Feuer, auch jetzt noch, da er tot ist. Gott weiß, ich hätte den Kampf verhindert, wenn ich es gewagt hätte. Es ist meine Schande, daß ich es nicht tat. Aber als ich ihnfallen sah, hätte ich neben dem Mitleid für meinen Herrn nur einen Gedanken haben können: Freude über die Befreiung von diesem Menschen.«
Ich weiß nicht, ob sie das verstand, aber ihre nächsten Worte waren: »Der alte Lord?«
»Das soll meine Aufgabe sein«, sagte ich.
»Sie werden zu ihm nicht so reden wie zu mir?« fragte sie.
»Gnädige Frau«, sagte ich, »gibt es sonst niemand, an den Sie denken müssen? Überlassen Sie den alten Lord mir.«
»Sonst niemand?« wiederholte sie.
»Ihren Gatten«, sagte ich. Sie blickte mich mit unenträtselbarer Miene an. »Wollen Sie ihn im Stich lassen?« fragte ich.
Noch immer schaute sie mich an, dann legte sie die Hand wieder aufs Herz. »Nein«, sagte sie.
»Gott segne Sie für dies Wort«, sagte ich. »Gehen Sie zu ihm, er sitzt in der Halle. Sprechen Sie zu ihm, es ist ganz gleich, was Sie sagen, geben Sie ihm die Hand, sagen Sie: ich weiß alles – und wenn Gott Ihnen genug Gnade gibt, sprechen Sie: verzeih mir!«
»Gott gebe Ihnen Kraft und mache Sie barmherzig«, sagte sie. »Ich werde zu meinem Gatten gehen.«
»Lassen Sie mich Ihnen leuchten«, sagte ich und nahm die Kerze.
»Ich werde meinen Weg im Dunkeln finden«, sagte sie mit einem Schauer, und ich glaube, sie erschauerte vor mir.
So trennten wir uns, sie ging nach unten, wo hinter der Tür der Halle ein kleines Licht glomm, und ich den Korridor entlang zum Zimmer des alten Lords. Es ist schwer zu erklären, aber ich konnte den alten Herrn nicht so überfallen wie die junge Frau, und ich mußte anklopfen, obgleich ich mich dagegen sträubte. Aber der Schlummer seiner alten Tage war leicht, oder vielleicht schlief er nicht. Beim ersten Klopfen rief er mich hinein.
Auch er richtete sich auf im Bett und sah sehr alt und blutlos aus. Besaß er, wenn er tagsüber angekleidet war, einen gewissen Adel der Erscheinung, so erschien er jetzt hinfällig und klein, und sein Gesicht war nicht größer als das eines Kindes, da er seine Perücke abgelegt hatte. Das schmerzte mich und nicht weniger der verstörte Blick seines Auges, als wenn er Unheil ahnte. Trotzdem war seine Stimme friedvoll, als er mich nach meinem Begehren fragte. Ich setzte meine Kerze auf einen Stuhl, lehnte mich an einen Bettpfosten und blickte
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