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Der Junker von Ballantrae

Titel: Der Junker von Ballantrae Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
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durchqueren, alterfahrene Seeleute wurden auf Deck niedergerissen, und einer verletzte sich grausam durch den Anprall. Alle Planken des alten Schiffes kreischten laut, und die große Glocke an der Ankerwinde ertönte unaufhörlich und klagend. Eines Tages saßen der Junker und ich allein auf der Kante des Achterdecks. Rund um das Achterdeck waren hohe Holzverschalungen, die das Schiff seeuntüchtig machten. Wo sie sich dem Abschluß dieses Decks näherten, verliefen sie in eine feine, altmodische, geschnitzte Leiste, um sich später der Schutzwehr des Mittelschiffes zu nähern. Durch diese Anordnung, die mehr dem Zierat als praktischen Zwecken diente, entstand eine Lücke im Schutz gegen die See, und zwar gerade am Rande des erhöhten Achterdecks, wo dieser Schutz in manchen Augenblicken am notwendigsten gewesen wäre. Dort nun saßen wir, unsere Füße hingen herunter, der Junker hockte zwischen mir und dem Schiffsrand, und ich hielt mich mit beiden Händen am Rahmen des Kajütenfensters fest. Es war mir klar, daß wir in einer gefährlichen Lage waren, um so mehr, als ich ständig einen Gradmesserfür die Schwingungen des Schiffes in der Person des Junkers vor mir hatte, dessen Gestalt in der Lücke der Schutzwehr gegen die Sonne aufragte. Bald war sein Kopf hoch oben, während sein Schatten jenseits des Schiffes nach draußen fiel, bald versank er anscheinend bis unter meine Füße, und der Meeresspiegel stand hoch über ihm wie die Decke eines Zimmers. Ich betrachtete alles das wie verzaubert. Man sagt, daß Vögel so Schlangen anstarren. Außerdem war mein Geist durch die erstaunliche Mannigfaltigkeit der Geräusche verwirrt, denn wir hatten jetzt alle Segel aufgezogen in der vergeblichen Hoffnung, das Schiff vor die Wellen zu bringen, und es erdröhnte in allen Fugen wie eine Fabrik. Wir unterhielten uns zunächst über die Meuterei, von der wir bedroht gewesen waren, und dann sprachen wir über das Problem des Mordes, das den Junker so stark fesselte, daß er nicht widerstehen konnte: er mußte mir eine Geschichte erzählen und gleichzeitig beweisen, wie klug und wie schlecht er sei. Er tat das stets mit großer Pose und schauspielerischen Bewegungen und gewöhnlich mit gutem Erfolg. Aber diese Geschichte, mit lauter Stimme inmitten eines so gewaltigen Aufruhrs vorgetragen durch einen Erzähler, der bald vom Himmel herunter auf mich niederblickte, bald unter die Sohlen meiner Füße versank – diese ganz besondere Erzählung packte mich in außergewöhnlicher Weise.
    »Mein Freund der Graf«, so begann er seine Geschichte, »hatte einen gewissen deutschen Baron, der fremd war in Rom, zum Feinde. Ganz gleich, welchesder Grund für die Feindseligkeit des Grafen war, auf alle Fälle hatte er den festen Entschluß gefaßt, sich zu rächen, und zwar ohne Gefahr für sich selbst, so daß er seine Feindseligkeit sogar vor dem Baron verbarg. Das ist in der Tat der vornehmste Grundsatz der Rache, denn verratener Haß ist machtloser Haß. Der Graf war neugierig und wissensdurstig, er hatte etwas von einem Künstler; wenn er etwas unternahm, mußte es stets mit größter Genauigkeit berechnet werden, nicht nur auf den Erfolg hin, sondern auch in allen Einzelheiten und Möglichkeiten, sonst hielt er es für verfehlt. Eines Tages ritt er zufällig spazieren in den äußeren Vororten, als er zu einem wenig benutzten Wege kam, der in das Moor führt, das sich um Rom herum ausbreitet. Auf der einen Seite lag ein altes römisches Grabmal, auf der anderen Seite ein verlassenes Haus in einem Garten mit immergrünen Bäumen. Der Weg führte ihn bald zu einem Ruinenfeld, in dessen Mitte er an einem Hügelabhang eine offene Tür sah, und nicht weit davon entfernt eine verkümmerte Pinie, nicht größer als eine Johannisbeerstaude.
    Der Ort war einsam und sehr abgelegen, eine Stimme im Herzen sagte dem Grafen, daß hier günstige Gelegenheiten für ihn wären. Er band sein Pferd an den Pinienstamm, nahm Zunder und Stahl in die Hand, um Licht machen zu können, und drang in den Felsen ein. Die Tür führte in einen Gang aus altem römischem Mauerwerk, der sich bald verzweigte. Der Graf ging nach rechts und verfolgte den Gang, indem er im Dunkeln vorwärts tastete, bis er durch eine Art Gitter aufgehaltenwurde, das ihm ungefähr bis zum Ellbogen reichte und quer über den Gang verlief. Er tastete mit dem Fuß nach vorn und spürte eine Kante von glatten Steinen, und dahinter einen leeren Raum. Seine Neugier erwachte, er sammelte

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