Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Junker von Ballantrae

Titel: Der Junker von Ballantrae Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
Vom Netzwerk:
religiösen Pflichten, wie ich bedauerlicherweise zugeben muß, immer und bis auf diesen Tag höchlichst vernachlässigte. Er empfand die Bedeutung des Buches als Feinschmecker, der er war, und manchmal nahm er es mir aus der Hand, wandte die Seiten um wie einer, der genau Bescheid weiß, und las mir mit seiner Betonung weit schönere Stellen vor als die von mir zitierten. Aber es war sonderbar, wie wenig er das Gelesene auf sich selbst anwandte. Alles zog über seinem Haupte hin wie ein Sommergewitter: Lovelace und Clarissa,die Berichte von Davids Edelmut, seine Bußpsalmen, die großen Fragen des Buches Hiob, die großartige Poesie Jesaias' – alles das war für ihn nur eine Quelle der Unterhaltung, wie etwa das Kratzen auf einer Geige in einer Dorfkneipe. Diese äußerliche Empfindsamkeit und innere Unberührtheit brachte mich gegen ihn auf, sie schien übereinzustimmen mit der groben Unverschämtheit, die, wie ich wußte, unter der Glätte seiner feinen Manieren verborgen war, und manchmal mußte ich meinen Ekel hinunterwürgen, als ob er mißgestaltet wäre, und ich zog mich von ihm zurück, als ob er teilweise durchsichtig wäre. Ich erlebte Augenblicke, wo ich dachte, er sei aus Pappe, und wenn man die Hülle der guten Haltung zerrisse, fände man nur Leerheit inwendig. Dieser Abscheu, der nicht nur, wie ich glaube, auf Phantasie beruhte, vergrößerte meine Abneigung gegen seine Gesellschaft, ich fühlte ein Erschauern in mir, wenn er sich näherte, manchmal hatte ich Lust, laut aufzuschreien, und an manchen Tagen hätte ich ihn schlagen mögen, wie ich vermute. Diese Gemütsverfassung wurde zweifellos verstärkt durch das Gefühl der Scham, weil ich während der letzten Tage auf Durrisdeer eine gewisse Zuneigung zu dem Manne gefaßt hatte, und wenn mir damals jemand eingeredet hätte, diese Neigung werde zurückkehren, hätte ich ihm ins Gesicht gelacht. Es ist möglich, daß er von diesem Fieber meiner Abneigung nichts merkte, aber ich glaube, er war doch zu schlau, und er hatte sich wahrscheinlich in seinem langen nichtstuerischen Leben an Gesellschaft so sehr gewöhnt, daß er nun gezwungen war, meinen unverstecktenWiderwillen hinzunehmen und zu ertragen. Schließlich liebte er sicher auch den Klang seiner eigenen Stimme, wie er alle seine körperlichen und geistigen Eigenschaften liebte, eine Torheit, die fast notwendigerweise mit der Verderbtheit verknüpft ist. Ich beobachtete, wie er sich zu langen Gesprächen mit dem Kapitän verstand, wenn ich schweigsam blieb, obgleich der Schiffer offen seine Langeweile kund tat, mißmutig mit Händen und Füßen strampelte und nur mit einem Grunzen antwortete.
    Nach der ersten Woche auf offener See gerieten wir in widrige Winde und schweres Wetter. Die See ging hoch. Die »Unvergleichliche« rollte unglaublich, da sie altmodisch und schlecht geladen war, so daß der Kapitän für seine Masten und ich für mein Leben zitterte. Wir machten keine Fortschritte, unerträgliche Übellaunigkeit herrschte auf dem Schiff, Mannschaft, Steuerleute und Kapitän fluchten gegeneinander den ganzen Tag. Ein freches Wort von einer Seite und ein Schlag von der anderen war ein tägliches Ereignis. Es gab Augenblicke, wo die gesamte Besatzung den Dienst verweigerte, und wir vom Hinterschiff wurden zweimal bewaffnet aus Furcht vor Meuterei. Es war das erstemal in meinem Leben, daß ich Waffen trug.
    Inmitten dieser bösen Stimmung kam ein Orkan auf, so daß alle fürchteten, das Schiff müsse untergehen. Ich wurde in die Kabine eingeschlossen vom Mittag des einen Tages bis zum Abend des nächsten, der Junker wurde auf Deck festgebunden; Secundra hatte irgendein Rauschmittel verschluckt und lag bewußtlos da, so daßich diese Stunden in ununterbrochener Einsamkeit zubrachte. Zunächst war ich vor Schrecken bewegungslos und fast unfähig nachzudenken, mein Geist war wie eingefroren. Dann erlebte ich einen Strahl der Hoffnung. Wenn die »Unvergleichliche« kenterte, würde sie jenes Geschöpf mit sich in die Tiefe des Meeres hinabreißen, das wir alle fürchteten und haßten. Der Junker von Ballantrae wäre nicht mehr, die Fische würden zwischen seinen Rippen spielen, seine Pläne würden zunichte, seine harmlosen Feinde Frieden haben. Es war zuerst, wie ich sagte, nur ein Strahl der Hoffnung, aber bald wurde heller Sonnenschein daraus. Der Gedanke an den Tod dieses Menschen, an seinen Abschied von dieser Welt, die er für so viele verbitterte, nahm Besitz von meiner Seele. Ich

Weitere Kostenlose Bücher