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Der Junker von Ballantrae

Titel: Der Junker von Ballantrae Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
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hatte, und wandte mir ein Gesicht zu, aus dem alle Hoffnung entflohen war. Ich sah dies Bild zuerst auf den schwarzen Fensterscheiben während meiner letzten Nacht auf Durrisdeer, und es verfolgte mich und kehrte immer wieder zurück während der ersten Hälfte der Reise. Es war jedoch nicht die Vision eines Irrsinnigen, denn ich habe ein hohes Alter erreicht, ohne an Verstand einzubüßen;auch war es nicht, wie ich damals versucht war zu vermuten, eine himmlische Warnung vor der Zukunft. Alle Arten von Unglück fließen uns zu, aber nicht dies, und ich sah manchen tieftraurigen Anblick, aber diesen nicht.
    Es wurde beschlossen, die ganze Nacht durchzureisen, und es war sonderbar, daß meine Stimmung sich etwas hob, als die Dämmerung hereingebrochen war. Die hellen Lampen, die in den Nebel eindrangen zu den dampfenden Pferden und dem zügelführenden Postkutscher, boten mir vielleicht einen Anblick, der im Grunde freundlicher war als das, was der Tag gezeigt hatte. Vielleicht war mein Geist auch der Melancholie überdrüssig. Jedenfalls verbrachte ich einige wache Stunden, nicht ohne Befriedigung meiner Gedanken, wenn mein Körper auch feucht und niedergedrückt war, und schließlich verfiel ich in einen natürlichen und traumlosen Schlummer. Aber auch im tiefsten Schlaf muß ich an der Arbeit gewesen sein, und diese Arbeit muß immerhin einigermaßen vernünftig gewesen sein. Denn plötzlich war ich ganz wach und überraschte mich bei dem Ruf:
    »Damals war Heimat noch Heimat, Liebster,
Und Glück für unser Kind!«
    Und ich war überrascht, die Strophe unserer Lage angemessen zu finden und bezeichnend für die furchtbaren Pläne, die der Junker mit seiner augenblicklichen Reise verfolgte.
    Wir waren damals dicht bei der Stadt Glasgow, wo wir bald zusammen in einem Wirtshaus frühstückten,und wo wir, wie der Teufel es wollte, ein Schiff vorfanden, das gerade absegeln sollte. Wir nahmen Kabinenplätze und trugen unser Gepäck zwei Tage später an Bord. Der Name des Schiffes war »Unvergleichliche«, es war sehr alt und sehr glücklich benannt. Wie wir von allen Seiten hörten, sollte es seine letzte Reise machen, die Leute am Kai schüttelten den Kopf, und viele fremde Menschen auf der Straße warnten mich wiederholt, es sei faul wie ein Käse und außerdem zu schwer beladen, es müsse unbedingt kentern, wenn wir in einen Sturm gerieten. Daher waren wir die einzigen Passagiere, der Kapitän namens McMurtrie war ein schweigsamer, verschlossener Mann, die Mannschaft bestand aus unwissenden, rauhen Seeleuten, aus allen Windrichtungen herbeigeholt, und der Junker und ich waren deshalb nur aufeinander angewiesen.
    Die »Unvergleichliche« hatte auf dem Clyde günstigen Wind, und ungefähr eine Woche erfreuten wir uns herrlichen Wetters und guten Fortschritts. Ich selbst war zu meinem Erstaunen ein geborener Seemann, wenigstens insofern, als ich nie seekrank war, doch empfand ich nicht die sonstige Frische meiner Gesundheit. War es nun die Bewegung des Schiffes zwischen den Wellen, die Unterbringung, das Salzfleisch oder alles zusammen: ich litt unter starker Niedergeschlagenheit und qualvoller Mutlosigkeit. Vielleicht trug auch meine Aufgabe dazu bei, aber ich glaube, daß die Krankheit, wie sie auch immer heißen mochte, in der Hauptsache durch meine Umgebung verursacht wurde, und wenn das Schiff nicht die Schuld trug, dann bestimmt derJunker. Haß und Furcht sind schlimme Genossen, aber, zu meiner Schande sei es gestanden, auch an anderen Orten habe ich sie erlebt, bin mit ihnen schlafen gegangen und mit ihnen aufgestanden, habe mit ihnen gegessen und getrunken, und doch war ich nie zuvor oder hernach so durch und durch seelisch und körperlich vergiftet wie an Bord der »Unvergleichlichen«. Ich muß offen bekennen, daß mein Feind mir ein gutes Beispiel gab durch sein Benehmen; selbst an den schlimmsten Tagen entfaltete er eine höchst duldsame Liebenswürdigkeit, unterhielt sich mit mir, solange ich wollte, und wenn ich seine Höflichkeiten zurückwies, streckte er sich auf Deck aus, um zu lesen. Das Buch, das er an Bord mit sich führte, war die berühmte »Clarissa« von Richardson, und neben anderen Gefälligkeiten las er mir laut Stellen daraus vor. Kein berufsmäßiger Sprecher hätte die pathetischen Abschnitte des Werkes mit größerer Wirksamkeit wiedergeben können. Ich meinerseits antwortete mit Stellen aus der Bibel, die meine ganze Bibliothek darstellte, und zwar erst neuerdings, da ich meine

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