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Der Junker von Ballantrae

Titel: Der Junker von Ballantrae Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
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umarmte diesen Gedanken, ich fand ihn süß von Geschmack. Ich stellte mir das letzte Niedertauchen des Schiffes vor, die See brach von allen Seiten in die Kabine, ein kurzer Todeskampf in der Einsamkeit, eingeschlossen wie ich war, ich zählte mir alle Schrecken auf, ich hätte beinahe gesagt mit Genugtuung, ich fühlte, daß ich alles das und noch mehr ertragen könne, wenn die »Unvergleichliche« den Feind des Hauses meines armen Herrn mit sich hinunterrisse und in demselben Abgrund begrübe.
    Gegen Mittag des zweiten Tages wurde das Heulen des Sturmes schwächer, das Schiff lag nicht mehr so gefährlich schief, und es wurde mir klar, daß wir den Höhepunkt des Orkans hinter uns hatten. Möge Gott mir verzeihen, aber ich war äußerst enttäuscht. In der Selbstsucht des verderblichen und alles übertrumpfendenHaßgefühls vergaß ich ganz die unschuldige Besatzung und dachte nur an mich und meinen Feind. Was mich betraf, so war ich schon alt; ich war niemals jung gewesen, die Freuden der Welt sagten mir nicht zu, ich besaß wenig Liebhabereien, es kam nicht darauf an, ob ich jetzt hier im Atlantischen Ozean ertrank oder in ein paar Jahren vielleicht nicht weniger schrecklich in einem verlassenen Krankenbett langsam verschied. Ich fiel auf meine Knie nieder, hielt mich an dem Schrank fest, um nicht quer durch die Kabine geschleudert zu werden, erhob inmitten des Getöses des langsam abnehmenden Unwetters meine Stimme und betete gotteslästerlich um meinen eigenen Tod. »O Gott!« rief ich aus. »Es wäre männlicher, wenn ich aufstünde und dies Geschöpf niederschlüge, aber Du hast mich zu einem Feigling gemacht vom Schoß meiner Mutter an. O Herr, Du schufest mich so, Du kennst meine Schwäche, Du weißt, daß das Antlitz des Todes mich erzittern macht. Aber siehe hier Deinen Diener bereit, aller menschlichen Schwäche ledig. Laß mich mein Leben für dieses Geschöpf opfern, nimm uns beide, Herr, nimm uns beide und erbarme Dich der Unschuldigen!«
    In solchen Worten, aber noch unehrerbietiger und mit noch heißeren Beschwörungen, fuhr ich fort meine Seele auszuströmen. Gott erhörte mich nicht, ich muß annehmen aus Barmherzigkeit, und ich war noch in der Todesangst meines Flehens befangen, als jemand die Luke abdeckte und das Licht des Sonnenunterganges in die Kabine fließen ließ. Ich sprang beschämt auf die Füße und war so überrascht, daß ich taumelte undSchmerzen empfand, als ob ich auf der Folterbank gelegen hätte. Secundra Daß, der sich von der Wirkung des Betäubungsmittels erholt hatte, stand nicht weit von mir in einer Ecke und starrte mich mit wilden Augen an, und von oben her dankte mir der Kapitän durch die Luke für mein Gebet:
    »Sie haben das Schiff gerettet, Mr. Mackellar«, sagte er, »keine Seemannskunst hätte es durch den Sturm führen können, wir mögen wohl sagen: wenn der Herr die Stadt nicht behütet, wachen die Wächter umsonst!«
    Ich war beschämt über den Irrtum des Kapitäns und beschämt auch durch die Überraschung und Furcht, mit der der Inder mich zunächst betrachtete, um mich dann mit heuchlerischen Gefälligkeiten zu überschütten. Ich weiß heute, daß er alles gehört und die besondere Natur meiner Gebete verstanden haben muß. Selbstverständlich machte er seinem Herrn sofort Mitteilung davon, und wenn ich heute mit genauer Kenntnis der Tatsachen zurückblicke, kann ich verstehen, warum mich das sonderbare und gewissermaßen zustimmende Lächeln des Junkers so sehr überraschte. Auch begreife ich nun ein Wort, das er in jener Nacht während unserer Unterhaltung gebrauchte, wie ich mich erinnere. Er streckte die Hand aus, lächelte und sagte: »Ach, Mackellar, nicht jeder ist ein so großer Feigling, wie er glaubt, und auch nicht ein so guter Christ.« Er wußte nicht, wie wahr er redete! Denn in der Tat, die Gedanken, die mir bei der Heftigkeit des Sturmes gekommen waren, hielten meine Sinne gefangen, und die Worte, die mir in der Inbrunst des Gebetes ungewollt über die Lippengekommen waren, dröhnten in meinen Ohren nach, und ich muß ehrlich erzählen, welch schändliche Folgen sie hatten, denn ich könnte die Heuchelei nicht ertragen, wenn ich die Sünden der anderen beschriebe und meine eigenen verschwiege.
    Der Wind flaute ab, aber die See wurde noch schwerer. Die ganze Nacht rollte die »Unvergleichliche« äußerst heftig, und auch der nächste Tag und der übernächste brach an, ohne Änderung zu bringen. Es war kaum möglich, die Kabine zu

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