Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kaefig - Roman

Der Kaefig - Roman

Titel: Der Kaefig - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
Vom Netzwerk:
Pässe, die sich zwischen Hollywood und Burbank durch die Berge schlängelten. Inmitten von drei Millionen Menschen war es eine Oase der Ruhe.
    In dem Canyon standen keine anderen Häuser. Nur dieses. Ihr Vater hatte das Haus nach eigenen Plänen gebaut. Er nannte es seinen »Schlupfwinkel«. Es war ein zweigeschossiges Ziegelgebäude. Auf der großen Dachterrasse grillte ihr Vater die dicksten Steaks. Er veranstaltete dort die coolsten Partys, die in ganz L. A. Stadtgespräch waren. Die Gästeliste las sich wie das Inhaltsverzeichnis des Rolling Stone .
    Damals nahm ihr Vater in seinem eigenen Studio im Keller Musik auf. Und was für ein Studio das war. Einmal kam John Lennon auf einen Cocktail vorbei und verkündete: »Gütiger Gott, hier könnte das Londoner Philharmonieorchester
spielen, und man hätte immer noch Platz für eine verdammte Elefantenparade.«
    Der Wind seufzte in den Bäumen. April legte ihren Kopf zur Seite. Die Brise strich über ihren Hals, spielte mit ihrem Haar.
    Ein wundervoller Ort. So friedlich.
    Abgeschieden von allem. Weit weg vom Lärm und den Abgasen der Stadt.
    Sie überlegte, was sie zu Abend essen sollte. Einen Salat mit Krabben. Dazu ein eiskaltes Glas Weißwein. Ja, das wäre schön.
    Einen Augenblick lang dachte sie, sie hätte das Knirschen von Füßen auf dem Kiesweg gehört.
    »Dad?«
    Das Wort kam ihr über die Lippen, ehe sie darüber nachdenken konnte.
    Nein.
    Das war unmöglich.
    Ihr Vater war tot. Von zwei Gangstern erschossen worden, die er dabei erwischt hatte, wie sie sein Auto aufbrachen. Er hatte auf dem Rückweg von Nashville in einem Motel übernachtet. Mit einem Blick aus dem Fenster hatte er gesehen, dass zwei Schwachköpfe seinen Wagen knackten wie eine Sparbüchse. Als er hinausgegangen war, um sie zur Rede zu stellen, hatte einer von ihnen eine Pistole gezogen und …
    Ihre Hände umklammerten die Balustrade.
    Nein. Nicht heute Nacht.
    Sie würde den Vorfall nicht wieder durchspielen. Es war schon zehn Jahre her.
    Deshalb bin ich jetzt allein hier. Kaum hatte sie das Wort »allein« gedacht, ertönte erneut das Geräusch.

    Ein Schritt auf dem Kies.
    Wer könnte das zu dieser Zeit sein? Niemand würde mitten in der Nacht die lange Strecke aus der Stadt herfahren, um mich zu besuchen.
    »Hallo, wer ist da?«
    Ihre blinden Augen bewegten sich, als würde sie zur Einfahrt hinunterblicken. Sie lauschte.
    Der Wind heulte durch die Bäume. Blätter raschelten.
    »Ist da jemand?«
    Keine Antwort. Stattdessen das Geräusch eines Reißverschlusses, der langsam heruntergezogen wurde.
    »Da ist doch jemand.« Ihr Herz raste. »Was wollen Sie?«
    Wieder lauschte sie.
    Was, wenn es ein Eindringling ist?
    Ich bin allein hier.
    Lettie war tagsüber da gewesen, um ihr Lebensmittel zu bringen, ihr beim Saubermachen zu helfen und ihr eine Weile Gesellschaft zu leisten. Aber Lettie war schon lange weg. Vielleicht sollte sie jemanden anrufen …
    Wieder das Geräusch. Ein Schritt auf dem Kies.
    Langsam wich sie von der Balustrade zurück zur Mitte der Dachterrasse. Es war dunkel. Aber ihr war bewusst, dass sehende Menschen sie dort am Rand der Terrasse erkennen konnten. Hier in der Mitte war sie außer Sicht.
    Und wenn er ins Haus einbricht?
    Sie konnte nichts tun, um ihn daran zu hindern. Selbst wenn sie es schaffte, das Telefon zu erreichen, würde es eine Weile dauern, bis die Polizei in diesem entlegenen Ende des Canyons ankam.
    Sie war dreiunddreißig Jahre alt. Männer hatten ihr immer wieder gesagt, wie schön sie sei. Dass ihr schulterlanges
Haar glänze. Sie eine schlanke Figur habe. Gebräunte Arme und Beine.
    Also war es gut möglich, dass, wer immer auch ins Haus einbrach, nicht wegen des Geldes oder des Fernsehers gekommen war.
    Sondern ihretwegen.
    Wieder ertönte ein knirschendes Geräusch. Vielleicht versuchte er, ein Fenster ohne stählerne Läden zu finden oder eine unverschlossene Tür.
    Ihr Vater hatte gründliche Arbeit geleistet. Alle Fenster im Erdgeschoss waren mit dichtem Stahlgeflecht gesichert. Schließlich brauchte sie sowieso kein Tageslicht. Beziehungsweise gar kein Licht.
    Die Türen waren aus Hartholz. Die Schlösser solide. Zu allem Überfluss waren die Türen zusätzlich mit geschmiedeten Eisengittern versehen.
    Vielleicht versucht er, an der Mauer hochzuklettern. Ich bin ganz allein hier oben.
    Jetzt fühlte sie sich verletzlich in dieser abgelegenen Gegend. Sie wünschte, sie würde hier mit jemandem zusammenwohnen. Jemand Starkem, der sie

Weitere Kostenlose Bücher