Der Kaefig - Roman
sagen können, ob es ein Arm oder ein Bein war, bis meine Finger gegen einen verschrumpelten Hautlappen und einen harten Stock trockenen Fleisches, so dick wie mein Daumen, stießen.
Skrotum und Phallus.
Beides von der Wüstenluft ausgedörrt.
Meine Hand fuhr kurz über den eingefallenen Bauch und die Brust; ich konnte die Bögen der Rippen spüren. Dann ertastete ich die Knorpel des Kehlkopfs und die harte Rundung des Kopfes mit Haarbüscheln wie aus Zuckerwatte.
Ich ließ ihn hinter mir und fuhr mit meiner Erkundung fort. Meine suchenden Hände bewegten sich in der vollkommenen Dunkelheit durch den Staub. Meine Reaktion auf die nächste Leiche war kontrollierter. Ich schrie nicht. Ich zog lediglich schnell meine Hand von seinem Fuß zurück.
Dieser Mann war vollständig bekleidet. Ich durchsuchte seine Taschen. In der Hemdtasche fand ich ein Päckchen Zigaretten und eine Schachtel Streichhölzer. Vorsichtig, als enthielte sie die wertvollsten Schätze Ägyptens, öffnete ich die Schachtel und berührte mit den Fingerspitzen die Zündhölzer. Ich zählte sie. Acht. Acht wertvolle Streichhölzer. Ich versuchte, eines zu entzünden.
Nichts.
Blindgänger.
Gebrauchte Streichhölzer.
War ich dazu verflucht, den Rest meines Lebens in dieser trockenen Kammer unter der Wüste zu sitzen?
Langsam zu verdursten?
Zuerst würde der Wahnsinn seinen Tribut fordern. Wenn die alles verschlingende Dunkelheit mich niederdrückte.
Würde ich morgen so weit sein, meinen toten Kameraden etwas vorzusingen, während ich zum Trost ihre Hände hielt?
Nein … reiß dich zusammen, sagte ich mir. Probier die Streichhölzer nochmal aus.
Dieses Mal befühlte ich die Schachtel, bis ich den rauen Streifen fand. Ich musste den Streichholzkopf über die glatte Seite gestrichen haben.
Ich versuchte es noch einmal. Der Phosphorkopf sprühte in der Dunkelheit Funken, dann fing er Feuer und strahlte so hell, dass Schmerz in meine Augen schoss. Nach einem Moment hatte ich mich jedoch an die Helligkeit gewöhnt und starrte auf eine schreckliche Szenerie. Ich stöhnte.
Denn um mich herum in dem Schacht, der im Durchmesser nicht größer als vier Meter war, lagen die vertrockneten Leichen von fünf Männern. Derjenige, der vor mir lag, der angezogene, hielt noch einen Revolver in der eingeschrumpften Hand. Ich sah ein Loch in seiner rechten Schläfe, und das Blut und die Hirnmasse, die sich aus seinem Schädel ergossen hatten, hatten einen dunklen Fleck im Staub um seinen Kopf hinterlassen.
Eine andere Leiche auf der gegenüberliegenden Seite hatte klaffende Wunden an den Oberschenkeln. Ich hegte kaum Zweifel daran, wie sie entstanden waren. Mir ging der grauenhafte Gedanke durch den Kopf, dass mich extremer Durst und Hunger schon bald ebenfalls zu der Erwägung treiben würden, mich an meinen Kameraden zu vergreifen.
Besonders einer, ein glatzköpfiger dünner Mann, der nichts als eine Unterhose trug, sah im Vergleich zu den anderen noch frisch aus. Ich bezweifelte, dass er länger als ein paar Tage tot war. Vielleicht enthielt sein Körper noch genügend Flüssigkeit, den Durst zu löschen, der bald beginnen würde, mich zu quälen. In seiner Blase könnte sich vielleicht noch ein halber Liter befinden. Nein. Das wäre …
Die Flamme verbrannte mir die Finger. Ich ließ das Streichholz fallen. Die Dunkelheit verschluckte mich, und ich stand reglos zwischen den Toten und überlegte, wie ich weiter vorgehen sollte.
Schließlich ging ich neben dem Mann, der sich das Leben genommen hatte, in die Hocke. Ich tastete blind herum und
fand seine Pistole. Es war ein höllisch schwieriges Unterfangen, sie aus seiner Hand zu bekommen, und ich musste ihm letztlich zwei Finger brechen. Als ich die Waffe endlich befreit hatte, löste ich vorsichtig die Verriegelung der Trommel. Die Trommel schwang zur Seite. Ich richtete den Lauf nach oben. Sechs Patronen fielen in meine Handfläche. Ich untersuchte sie in der Dunkelheit und schloss aus den offenen Enden, dass es sich bei zwei der Patronen um verbrauchte Hülsen handelte, während die vier anderen vollständige und funktionsfähige Geschosse waren. Von ihrer Größe und dem Gewicht her schätzte ich sie auf Kaliber .38. Ich lud den Revolver wieder und legte ihn zur Seite, wo ich ihn ohne Schwierigkeiten finden würde.
Zunächst brauchte ich die Waffe nicht. Aber dass sie da war, bot großen Trost. Ich wusste, dass ich nicht zu einer kriechenden unmenschlichen Bestie zu regredieren brauchte,
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