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Der Kaefig - Roman

Der Kaefig - Roman

Titel: Der Kaefig - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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klammerte mich an der Wand fest und sammelte Kräfte für den anstrengendsten Teil des Kletterns.
    Die Flamme war langsam am Stoffstreifen heraufgekrochen. Während ich pausierte, entzündete sie das Haar eines der Männer, loderte kurz auf und beleuchtete die Kammer in flackerndem weißem Licht. Ein schrecklicher Gestank stieg mir in die Nase. Als das Feuer erstarb, inspizierte ich das Ende meines Dochts.
    Die Hälfte des Streifens war noch übrig. Ich beabsichtigte, die Flamme zu nutzen, um eine weitere provisorische Fackel zu entzünden, die ich mir um den Hals gewickelt hatte. Dadurch würde ich ein wertvolles Streichholz sparen. Die Streichholzschachtel hatte ich mit dem Stoffstreifen an meinem Hals befestigt, damit ich nicht ohne Licht dastand, sollte die erste Fackel während meines Aufstiegs erlöschen.
    Ohne weiteres Zögern bewegte ich mich vorsichtig zur Seite. Ich schwang den brennenden Stoffstreifen von den Knien meines grausigen Kameraden weg und ließ ihn an seiner Seite herunterhängen, wo er mir nicht im Weg war. Dann drückte ich mich an die Leiche und begann, daran hinaufzuklettern. Es war eine schreckliche Angelegenheit, besonders, weil ich nackt war.
    Ich stand auf seinen angewinkelten Knien, stützte mich mit einer Hand an der Wand ab und umklammerte mit der anderen seine linke Schulter, als das Licht erlosch. Die plötzliche Dunkelheit entmutigte mich, aber ich wusste, dass ich bald stürzen würde, wenn ich nicht weiterkletterte. Mit einem Fuß glitt ich an seinem Oberschenkel hinauf und suchte nach dem Vorsprung seines Hüftknochens. Ich fand ihn. Kaum
hatte ich den Eindruck, dort sicher zu stehen, zog ich meinen anderen Fuß nach. Auch er fand Halt an der Hüfte. Ich hing nun in einer noch heikleren Lage als zuvor und umklammerte den Leichnam mit den Knien wie ein Kind, das einen Baumstamm erklimmt. Vorsichtig richtete ich mich auf, wobei ich mein ganzes Gewicht gegen ihn lehnte. Ich spürte sein Gesicht an meinem Bauch, dann an meinem Gemächt. Ich möchte nicht ausführen, welch alptraumhafte Gedanken mir durch den Kopf schossen, während ich mich langsam hinaufschob.
    Ich stand beinahe auf seinen Schultern, als er sich bewegte. Meine Hände suchten Halt an der Steinwand, fanden jedoch keinen. Die Leiche rutschte unter mir weg. Einen Augenblick später fiel ich. Ein Fuß landete auf dem obersten Körper meines widerwärtigen Podests und brach hindurch, als wäre es ein morsches Brett. Dann stürzte ich rückwärts in die Dunkelheit.
    Ich schlug hart auf dem Boden auf. Während ich benommen dalag, fiel ein Leichnam auf mich. Dann noch einer. Ich schleuderte sie zur Seite und beeilte mich, dort wegzukommen.
    Mit gekrümmtem Rücken hockte ich an der Wand und starrte in die Dunkelheit. Ich lauschte konzentriert. Über das Klopfen meines Herzens, über dem angestrengten Keuchen meiner Lunge, hörte ich andere Geräusche. Gedämpftes, unzusammenhängendes Gemurmel. Das Rascheln trockenen Fleisches, das über den steinigen Boden gezogen wurde.
    Ich wusste, dass sie mich holen wollten.
    »Nein!«, kreischte ich.
    Ich glaubte, ihr rasselndes Gelächter zu hören.
    Mit beinahe gelähmten Händen wickelte ich den Stoffstreifen von meinem Hals. Ich riss die Streichholzschachtel auf. Kurz bevor ich eines anzündete, zögerte ich. Besser im Dunkeln
sterben, als die Kreaturen anzusehen – die toten Kreaturen –, die auf mich zu krochen. Aber ich konnte nicht anders!
    Ich riss ein Streichholz an. In dem plötzlichen Lichtschein konnte ich erkennen, wie einer der Toten nach meinem Fuß griff! Ein weiterer saß aufrecht und grinste. Die anderen, die noch auf dem Haufen lagen, wanden sich, als wollten sie ihre verknoteten Glieder entwirren. Es dauerte einige quälende Augenblicke, bis ich bemerkte, dass ihre Bewegungen eine Illusion waren, die durch das Flackern der Streichholzflamme hervorgerufen wurde.
    Ich entzündete ein Ende meines Stoffstreifens und sah mich um. Schließlich hatte ich mich davon überzeugt, dass mir von meinen Kameraden keine Gefahr drohte – dass die Bedrohung vielmehr von meiner aufgewühlten Psyche ausging. Meine Augen wanderten zu der glänzenden Nickeloberfläche des Revolvers.
    Zeit, es zu Ende zu bringen, dachte ich.
    Zeit für die Gnade des Vergessens.
    Ich erhob mich und stellte fest, dass ich die Streichholzschachtel verloren hatte. Mit gesenktem Kopf suchte ich den Boden ab, bis ich die kleine Schachtel wiederfand. Als ich mich bückte, um sie aufzuheben, bemerkte ich

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