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Der kälteste Winter: Erinnerungen an das befreite Europa (German Edition)

Der kälteste Winter: Erinnerungen an das befreite Europa (German Edition)

Titel: Der kälteste Winter: Erinnerungen an das befreite Europa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Fox
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sagte ich, «aber trotzdem die Jahre im Lager durchgemacht hat.»
    «Ich habe die Tätowierung an seinem Handgelenk gesehen, die Zahlen, als er am Tisch ein Stück Brot genommen hat», sagte Mary. «Sie waren zwar bläulich verwischt, aber man konnte noch erkennen, was es war.» Sie lächelte abwesend. «Na ja», fügte sie hinzu, «ohne eine kleine Romanze hätte unserem Ausflug doch etwas gefehlt, oder?»
    Die Spannung war aus dem Zimmer verschwunden, und mit ihr auch die letzten Spuren von Wärme. Ich kroch ins Bett. Ich fühlte eine unerklärliche Dankbarkeit Mary gegenüber, aber ich war zu schläfrig, um darüber nachzudenken.
    Am nächsten Morgen setzten Karel und Mrs. Grassner sich auf die letzte Bank unseres Busses. Mlle. Tetreault würdigte sie keines Blickes, aber Mary und ich drehten uns öfter um, als sich gehörte. Ich weiß auch nicht, was wir zu sehen erwarteten. Mrs. Grassner hielt den Kopf gesenkt, und obwohl sie nicht redeten, beugte sich Karel zu ihr, als würde er zuhören. Etwa eine Stunde später hielt der Bus an einer Weggabelung, wo Karel und Baby aussteigen und in ihr Heimatland zurückkehren mußten. Sie schüttelten jedem von uns die Hand, umarmten Ottokar, und stiegen die beiden Stufen an der Bustür hinab. Mrs. Grassner folgte ihnen.
    Ich wischte meine beschlagene Scheibe frei und sah, wie Baby ein Stück voranging, während Karel und Mrs. Grassner dicht beieinander stehenblieben. Karel zog den Handschuh aus und streckte ihr seine Hand hin. Sie ergriff sie. Plötzlich hob sie seine Hand an ihre Wange und ließ sie dann fallen.
    Als sie wieder in den Bus stieg, setzte sich Ottokar neben sie und legte ihr den Arm um die Schultern. Karel und Baby waren schon nicht mehr durchs Fenster zu sehen. Ich sah, wie sich ihre Fußspuren mit Neuschnee füllten.
    Bald nach unserer Rückkehr nach Warschau fing ich an, meine Abreise vorzubereiten. Ich brauchte ein Ausreisevisum und einen Platz im Flugzeug nach Paris. Am letzten Tag lief ich in der Stadt umher, bis die Kälte mich schmerzte. Ich machte mich noch einmal auf den Weg zum Warschauer Ghetto, um auf die große Leere zu starren, diesmal jedoch mit dem Bus. Zufällig wurde der Bus, gerade als wir die Grenze des Ghettos erreichten, von einer Bombe aufgehalten, die vor ihm auf die Straße rollte, vielleicht aus einem rutschenden Trümmerberg. Eine Stunde lang saßen wir fest und warteten, bis das Bombenräumkommando sie entschärft hatte.
    Im Centralny erwartete mich nach meiner Rückkehr eine Nachricht. Mrs. Grassner wolle mich gern in ihrem Zimmer im Polonia treffen. Ich trank einen heißen Tee und eilte dann zu ihr. Als ich durch den Hoteleingang eintreten wollte, kreischte der Zeitungsjunge wie ein Nachtvogel und humpelte mit seinem Armvoll Zeitungen auf mich zu. Ich sprang aus seiner Reichweite und hastete ins Foyer.
    Mrs. Grassner saß in Hut und Überschuhen auf ihrem Bett. «Ich höre, Sie reisen ab», hob sie an.
    «Ja.» Sie blickte mich düster an. «Ich reise nach Spanien», fügte ich hinzu.
    «Spanien», wiederholte sie. «Also, ich wollte Ihnen etwas zeigen, bevor sie abreisen.»
    Sie deutete auf eine dicke Rolle dunklen Wollstoffs, die auf dem Bett lag. Der Stoff ähnelte dem ihres Kostüms. «Ich habe einen wunderbaren Laden für Wolle gefunden», sagte sie. «Vielleicht wollen Sie auch mal hinschauen.»
    «Ich habe kein Geld mehr übrig», sagte ich. «Gerade noch genug für die Rückreise.»
    «Ach», sagte sie und strich sachte über den Stoff. «Ich habe immer noch einen blauen Fleck am Schienbein, von diesem Teufel an der Tür.» Dann seufzte sie. «Ich werde auch bald abreisen. Diese Kälte … meine Nase läuft seit dem Tag meiner Ankunft. Ich habe fast keine Taschentücher mehr. Ich frage mich, ob es hier wohl jemals wärmer wird.»
    «Ich habe gehört, daß der Schnee manchmal schon im März schmilzt», sagte ich.
    «Und danach? Was gibt es dann zu sehen?»
    Darauf wußte ich keine Antwort. Anstatt nach einer zu suchen, fragte ich sie: «Haben Sie noch mehr über all die Dinge herausgefunden, von denen Sie mir auf der Busreise erzählt haben?»
    Sie beugte sich vor, um ihre Überschuhe aufzuschnüren. «Ich habe alles herausgefunden», sagte sie. Dann sah sie mich an. Einen Augenblick glaubte ich, eine Spur von Amüsement über ihr Gesicht huschen zu sehen. Vielleicht habe ich es mir auch nur eingebildet.
    «Was halten Sie denn von meinem Material hier?» fragte sie.
    Ich gab mir alle Mühe, aber mir fiel zu der Wolle

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