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Der Kaffeehaendler - Roman

Der Kaffeehaendler - Roman

Titel: Der Kaffeehaendler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Liss Almuth Carstens
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Es war kein Verbrechen, sich auf der Straße aufzuhalten. Dennoch fühlte er sich genötigt, sie abzuhängen, und bog in eine Gasse ein, die in eine Seitenstraße führte. Noch ein Gässchen und eine Seitenstraße, und er stand wieder auf der Hauptstraße.
    Er drehte sich um, und die Spitzel waren immer noch hinter ihm. Vielleicht waren sie gar nicht mit in die Gassen abgebogen, weil sie wussten, dass Miguel zum Ausgangspunkt zurückkehren würde. Er las einen flachen Stein auf und schleuderte ihn in die Gracht, damit er darüber hinweghüpfte, aber er versank in dem Moment, in dem er aufs Wasser traf.
     
    Miguel hob den Beutel mit den Kaffeebeeren an. Er war leicht, so leicht, dass er ihn von einer Hand in die andere werfen konnte. Von jetzt an würde er sie mit Bedacht verwenden müssen, sonst wären bald keine mehr übrig. Vielleicht würden die Leute in der türkischen Kaffeeschenke ihm Kaffee zum eigenen Gebrauch verkaufen.
    Nach einer kurzen Bestandsaufnahme einer Probleme erkannte Miguel, was auf ihn zukam: sein Kaffeeprojekt stand aufgrund verspäteter Schiffsladungen und nicht ausreichenden Kapitals kurz vor dem Scheitern; seine Partnerin Geertruid war nicht, was sie vorgab zu sein, vielleicht hatte sie sich mit Parido verbündet, vielleicht nicht; Joachim steckte sicherlich mit Parido unter einer Decke, doch das machte Miguel das Leben leichter, nicht schwerer, da Paridos Geld dem Burschen anscheinend seine geistige Gesundheit zurückgegeben hatte;
Miguel konnte seine Schulden bei Isaiah Nunes nicht bezahlen, weil er die Mittel benutzt hatte, um seinen Bruder und den russischen Mittelsmann zu bezahlen; das Geld, das er mit seinem raffinierten Walfischtranhandel verdient hatte, war nicht verfügbar, weil der Makler Ricardo es weder herausrückte, noch Miguel den Namen seines Klienten nennen wollte. Miguel war machtlos gegen Ricardos Niedertracht, weil er sich, wenn er sich an die holländischen Gerichte wandte, den Ärger des Ma’amad zuziehen würde, und eine Befragung durch den Ma’amad war zu riskant wegen Parido.
    Vielmehr war sie zu riskant gewesen.
    Miguel nahm die Schale zur Hand und trank den letzten Schluck Kaffee. Es gab zumindest eines, was er tun konnte, und zwar sofort.
    Nachdem er ein halbes Dutzend Schenken durchkämmt hatte, suchte Miguel Ricardo zu Hause auf. Der Makler war berüchtigt dafür, dass er die billigsten Dienstboten anheuerte, die zu finden waren, und die Kreatur, die ihm die Tür öffnete, musste ein echtes Schnäppchen gewesen sein: Weit in ihren letzten Lebensjahren, stand sie gebückt und zitternd vor ihm. Ihre Augen waren bloße Schlitze, und sie hatte Probleme, sich voranzubewegen.
    »Was ist?«, fragte sie Miguel auf Holländisch. »Kommen Sie zum Festmahl des Juden?«
    Miguel lächelte strahlend. »Gewiss.«
    »Dann treten Sie ein. Die anderen essen schon. Der Jude hat es nicht gern, wenn sich die Leute verspäten, die er einlädt.«
    »Sie nennen ihn ›der Jude‹? Ist Ihnen klar«, fragte Miguel, während er ihren schlurfenden Schritten folgte, »dass Sie nun ebenfalls einen Juden vor sich haben?«
    »Das ist nicht mein Problem«, sagte sie. »Das geht mich nichts an.«
    Die Frau führte ihn einen langen, hell gefliesten Flur entlang
in ein geräumiges Zimmer, in dem nur ein großer Tisch stand. Die Wände dagegen waren mit Gemälden übersät: Porträts, Landschaften, biblische Szenen. Miguel erkannte, dass ein Bild, ein Porträt von Samson, im Stil jenes seltsamen Burschen gemalt war, der in der Vlooyenburg gelebt und die Angewohnheit gehabt hatte, arme Juden dafür zu bezahlen, dass sie für ihn Modell saßen.
    Diese Modelle jedoch waren die einzigen armen Juden, die das Innere des Hauses schmückten; um den Tisch herum, der spärlich mit Speisen gedeckt war, saßen einige der reichsten Männer der portugiesischen Nation, darunter Solomon Parido. Aus der Lautstärke der Unterhaltung schloss Miguel, dass Ricardo mit seinem Wein großzügiger gewesen war als mit seinem Essen.
    Der Makler, der gerade über etwas gelacht hatte, schaute jetzt auf und sah Miguel neben der alten Dienstbotin stehen.
    »Hier ist noch ein Jude für Sie«, verkündete sie.
    »Lienzo.« Ricardo spuckte aus. »Sie habe ich gewiss nicht eingeladen.«
    »Sie haben mich aufgefordert, mich Ihnen und Ihren Freunden zu einem fröhlichen Festmahl anzuschließen, und nun bin ich da.«
    Parido erhob sein Glas. »Dann lasst uns auf Lienzo trinken, Amsterdams gerissensten Börsenhändler.«
    Ricardo

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